Bearbeiter: RA Prof. Dieter Schmalz

Warenverkehrsfreiheit, Art. 28 EG-Vertrag; Maßnahmen gleicher Wirkung. Ausnahmen von der Warenverkehrsfreiheit, Art. 30; Gesundheitsschutz. Dienstleistungsfreiheit, Art. 49; Ausnahmen, Art. 55, 46.

EuGH Urteil vom 8. 3. 2001 (Rs. C-405/98) Slg. 2001, I-1795

Fall (Schwedisches Alkohol-Werbeverbot)

Der Staat S, Mitglied der EU, hat durch Gesetz die Werbung für Alkohol stark eingeschränkt (AlkoholwerbeG = AWG). Untersagt sind Werbeeinschaltungen und Anzeigen im Fernsehen, Hörfunk, in Zeitungen und Zeitschriften, sofern diese sich nicht an Gewerbetreibende aus der Gastronomie wenden. Begründet wurde dies mit den Gesundheitsgefahren, die vom Alkoholgenuss ausgehen. In einem Rechtsstreit vor einem Gericht des Staates S wurde geltend gemacht, das AWG verstoße gegen Europäisches Recht. Obwohl das nationale Gericht das AWG nach Prüfung für rechtsgültig hielt, legte es die Frage gemäß Art. 234 EG-Vertrag dem EuGH vor. Wie wird dieser entscheiden ?

I. Das AWG könnte gegen die in Art. 23 ff. EG-Vertrag geschützte Warenverkehrsfreiheit verstoßen.

1. Art. 28 verbietet mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen - eine solche liegt nicht vor - sowie Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten.

a) Seit EuGH Slg. 1974, 837 (Dassonville) wird diese Voraussetzung weit ausgelegt: Maßnahme gleicher Wirkung ist jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den Handel innerhalb der Mitgliedstaaten unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern, d. h. jedes Handelshemmnis zwischen den Mitgliedstaaten. Das Werbeverbot für Alkohol wirkt sich zwar in erster Linie auf den Handel innerhalb des Staates S aus. Es hat aber auch die Folge, dass Anbietern aus anderen Mitgliedstaaten erschwert wird, ihre Produkte, sofern sie Alkohol enthalten, in S abzusetzen. Insoweit bedeutet das Werbeverbot ein Handelshemmnis.

b) Der EuGH hat diesen Ausgangspunkt aber modifiziert. In erster Linie betrifft Art. 28 Produktanforderungen (z. B. wenn Alkohol nicht verkauft werden dürfte; wenn Produkte in einer typischen Verpackung nicht zulässig sind), während nichtdiskriminierende bloße Verkaufsmodalitäten (z. B. Ladenschlussregelungen) vom Verbot des Art. 28 ausgenommen werden (EuGH Slg. 1993, I-6097, Fall Keck). Das Werbeverbot betrifft nicht das Produkt, sondern nur dessen Vertrieb und gehört deshalb zu den Verkaufsmodalitäten.

c) Diese unterstellt der EuGH aber wiederum dem Art. 28 (durch Rückausnahme), wenn sie sich gerade zum Nachteil ausländischer Anbieter auswirken (vgl. auch Huster JuS 2002, 266). Im vorliegenden Fall geht der EuGH davon aus, dass alkoholische Waren aus anderen Ländern, zumal wenn sie neu auf den Markt kommen, stärker unter dem Werbeverbot leiden als einheimische, weil letztere den Verbrauchern eher bekannt sind. EuGH: Ein Werbeverbot von der Art desjenigen, um das es im Ausgangsverfahren geht, beeinträchtigt die Vermarktung von Erzeugnissen aus anderen Mitgliedstaaten stärker als diejenigen inländischen Erzeugnisse und stellt daher ein Hemmnis für den Handelsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten dar, das in den Anwendungsbereich von Art. 28 EGV fällt.

 Somit widerspricht das AWG dem Art. 28 EG-Vertrag.

2. Es könnte aber eine Ausnahme nach Art 30 EG-Vertrag eingreifen. Danach muss die Beschränkung durch einen der dort aufgeführten Gründe gerechtfertigt sein und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entsprechen.

a) Eines der Schutzgüter des Art. 30 ist die Gesundheit der Menschen. Das Werbeverbot des AWG bezweckt, die Gesundheit der Menschen vor den zweifellos bestehenden Gefahren des Alkohols zu schützen. Hierfür ist es sicher nicht ungeeignet, weil es den von der Werbung ausgehenden Anreiz, alkoholische Getränke zu erwerben und zu konsumieren, ausschaltet.

b) Ob deshalb aber ein so weitgehendes Verbot notwendig und angemessen ist, ist zweifelhaft. Der EuGH übt insoweit Zurückhaltung und räumt dem nationalen Gesetzgeber einen erhebliche Spielraum ein. Ein Beurteilungsspielraum stehe auch dem nationalen Gericht zu. Da dieses im Originalfall die Verhältnismäßigkeit bejaht hatte, sieht der EuGH keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung und verneint eine Verletzung des Art. 28.

II. Weiterhin misst der EuGH ein Werbeverbot am Maßstab des Art. 49 EG-Vertrag, der Dienstleistungsfreiheit.

 1. Presseunternehmen im Staate S könnten ausländischen Firmen, die Alkohol in S vertreiben wollen, Anzeigenraum anbieten. Damit würden sie eine grenzüberschreitende Dienstleistung erbringen, was ihnen nunmehr auf Grund des AWG nicht mehr möglich ist. Also wird die zwischenstaatliche Dienstleistungsfreiheit beeinträchtigt.

2. Jedoch unterliegt auch die Dienstleistungsfreiheit Schranken zu Gunsten des Gesundheitsschutzes (Art. 55, 46 EG-Vertrag). Es gilt also Entsprechendes wie oben unter I 2.

Das AWG verletzt europäisches Recht infolgedessen nicht.

Zusammenfassung