Bearbeiter: Prof. Dieter Schmalz

Verfassungsbeschwerde gegen Gesetz. ► Berufsfreiheit, Art. 12 GG. Allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 I GG. Verhältnismäßigkeit von Eingriffen durch den Gesetzgeber

BVerfG
Beschluss vom 21. 12. 2011, AZ 1 BvR 2007/10, JA 2012, 312 mit Besprechung von Muckel


Fall (Sonnenstudioverbot für Minderjährige)

§ 4 des - formell fehlerfrei erlassenen und am 4. 8. 2009 in Kraft getretenen - Gesetzes zum Schutz vor nichtionisierender Strahlung bei der Anwendung am Menschen (NiSG) bestimmt unter der Überschrift „Nutzungsverbot für Minderjährige“: Die Benutzung von Anlagen zur Bestrahlung der Haut mit künstlicher ultravioletter Strahlung in Sonnenstudios, ähnlichen Einrichtungen oder sonst öffentlich zugänglichen Räumen darf Minderjährigen nicht gestattet werden. Nach § 8 NiSG kann bei Verstößen ein Bußgeld verhängt werden. Zur Begründung hat der Gesetzgeber angeführt, bei Kindern und Jugendlichen steige das Risiko einer Hautkrebserkrankung deutlich, wenn sie sich neben natürlicher UV-Strahlung (Sonne) zusätzlich künstlicher UV-Strahlung aussetzten.

Gegen § 4 NiSG hat S, Inhaber eines Sonnenstudios, zu dessen Kunden bisher auch Jugendliche im Alter zwischen 16 und 18 Jahren gehörten, noch im Jahre 2009 Verfassungsbeschwerde erhoben. Auch die 16jährige M hat, vertreten durch ihre Eltern, Verfassungsbeschwerde eingelegt. Sie weist darauf hin, dass sie gelegentlich - mit Zustimmung ihrer Eltern - ein Sonnenstudio benutzt, u. a. um einem Vitamin-D-Mangel entgegen zu wirken. S und M machen geltend, § 4 NiSG sei Ausdruck einer Bevormundung der Bürger durch den Staat und verkenne, dass zur Freiheit der Bürger auch gehöre, sich Gefahren auszusetzen. Auch seien die vom Gesetzgeber zur Begründung herangezogenen Erkenntnisse zur Schädlichkeit der UV-Strahlung bei Kindern und Jugendlichen nicht gesichert, und die einschlägigen Studien würden auch in der Wissenschaft kritisiert.

Wie ist über die Verfassungsbeschwerden zu entscheiden ?

A. Die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerden (VfB) von S und M, die zusammen geprüft werden kann, richtet sich nach §§ 90 ff. BVerfGG.

I. Die VfB muss sich gegen einen Hoheitsakt richten (§ 90 I BVerfGG). Zu den Hoheitsakten gehören auch Gesetze (vgl. § 93 III BVerfGG). Folglich kann sich die VfB gegen § 4 NiSG richten.

II. Der Beschwerdeführer muss behaupten, in einem Grundrecht verletzt zu sein (§ 90 I BVerfGG).

1. S kann geltend machen, durch den Verlust der minderjährigen Kunden werde sein Umsatz vermindert, worin eine Verletzung seines Grundrechts auf freie Berufsausübung (Art. 12 GG) liege.

2. M kann eine Verletzung des Rechts der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 I GG) geltend machen. Zur allgemeinen Handlungsfreiheit gehört auch, ein Sonnenstudio zu besuchen. Indem M die Rechtfertigung des Gesetzes durch den Gesetzgeber angreift, trägt sie einen Sachverhalt vor, der möglicherweise zur Verletzung des Art. 2 I führt.

S und M behaupten somit eine Grundrechtsverletzung.

III. Das Gebot vorheriger Rechtswegerschöpfung (§ 90 II 1 BVerfGG) steht der Zulässigkeit der VfB nicht entgegen, weil es gegenüber formellen Gesetzen keinen Rechtsweg - außer der VfB - gibt (vgl. § 93 III BVerfGG). Deshalb greift auch der Grundsatz der Subsidiarität der VfB nicht ein. Ein - etwa mit Hilfe einer verwaltungsgerichtlichen Feststellungsklage - angerufenes Fachgericht könnte das NiSG nicht für nichtig erklären, sondern müsste die Frage seiner Verfassungsmäßigkeit dem BVerfG nach Art. 100 GG vorlegen. Zu einem Rechtsschutz durch ein anderes Gericht käme es deshalb nicht. Bei M kommt hinzu, dass sie während der Ausschöpfung eines Rechtsweges mit größter Wahrscheinlichkeit volljährig würde, so dass sie während der Zeit, während der sie von dem Verbot des § 4 NiSG betroffen ist, keinen Rechtsschutz hätte.

IV. Die VfB gegen ein Gesetz setzt zusätzlich voraus, dass der Beschwerdeführer von dem Gesetz selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen ist (BVerfGE 93, 319, 338; NVwZ 2004, 978).

1. S und M sind von dem Verbot des § 4 NiSG selbst betroffen und berufen sich nicht auf die Betroffenheit eines anderen.

2. Die Betroffenheit ist auch gegenwärtig, da das NiSG inzwischen in Kraft getreten ist und Beachtung beansprucht.

3. Unmittelbare Betroffenheit liegt vor, wenn das Gesetz keiner Umsetzung mehr bedarf. Es darf kein Vollzugsakt für die Anwendung im Einzelfall vorgesehen sein. Bei § 4 NiSG ist weder ein Verwaltungsakt noch ein anderer Vollzugsakt vorgesehen. Die Norm verlangt, dass sie mit ihrem Inkrafttreten beachtet wird und Minderjährige nicht mehr Zutritt zu einem Sonnenstudio erhalten; es handelt sich um eine sog. Self-Executing-Norm. Ein möglicher Bußgeldbescheid nach § 8 NiSG wäre kein Vollzugsakt, sondern eine Sanktion wegen der Zuwiderhandlung gegen ein bereits unmittelbar geltendes Gesetz.

4. Somit sind S und M selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen. Dass M nicht Adressatin der Norm ist, ändert an ihrer tatsächlichen Betroffenheit nichts. Dieser Frage ist im Rahmen der Begründetheit als Problem des Eingriffs in ein Grundrecht der M zu behandeln (unter C I; ebenso BVerfG [18]).

V. Die Jahresfrist des § 93 III BVerfGG ist durch die Erhebung der VfB noch im Jahre des Inkrafttretens des Gesetzes gewahrt. Von der formgerechten Erhebung der VfB (Schriftform, § 23 BVerfGG) und der von § 92 BVerfGG geforderten Begründung ist auszugehen. Beide Verfassungsbeschwerden sind zulässig.

B. Die VfB des S ist begründet, wenn S in einem Grundrecht verletzt ist. Als verletztes Grundrecht kommt die Berufsfreiheit (Art. 12 I GG) in Betracht. Mangels entgegenstehender Angaben im Sachverhalt ist anzunehmen, dass S Deutscher ist und ihm das Grundrecht des Art. 12 I GG mithin zusteht.

I. Das NiSG müsste einen Eingriff in den Schutzbereich dieses Grundrechts enthalten. Die Inhaber von Sonnenstudios betreiben diese zu Erwerbszwecken und üben dadurch einen Beruf aus. Zum Schutzbereich des Art. 12 I GG gehört auch, sich seine Kunden auszusuchen und mit den ausgesuchten Kunden in geschäftlichen Kontakt zu treten. Wie der Fall des S zeigt, gehörten dazu bisher auch minderjährige Kundinnen und Kunden. Das Verbot des § 4 NiSG bewirkt, dass diese Kontakte künftig entfallen und dadurch ein Teil der beruflichen Betätigung nicht mehr zulässig ist. Da dem Gesetzgeber bekannt war, dass § 4 seine Hauptbedeutung gegenüber gewerblichen Sonnenstudio-Anbietern hat, hat die Regelung auch eine berufsregelnde Tendenz. Folglich liegt ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 12 I GG vor.

II. Der Eingriff könnte aber gerechtfertigt sein. Grundlage für die Rechtfertigung ist Art. 12 I 2 GG. Danach kann die Berufsausübung durch Gesetz geregelt und auch beschränkt werden.

1. § 4 NiSG betrifft die Berufsausübung, das Wie der beruflichen Tätigkeit, und nicht das Ob, die Berufswahl. Die in Art. 12 I enthaltene Voraussetzung ist somit erfüllt. Im Sinne der zu Art. 12 entwickeltem Drei-Stufen-Lehre, deren Heranziehung in diesem Zusammenhang allerdings nicht erforderlich ist, handelt es sich um einen Eingriff auf der ersten, niedrigsten Stufe.

2. Das ein Freiheitsrecht beschränkende Gesetz muss formell und materiell verfassungsmäßig sein (BVerfG NJW 2005, 2289, 2291), d. h. es müssen neben dem geprüften Grundrecht auch die anderen verfassungsrechtlichen Anforderungen beachtet sein. Dass das NiSG formell fehlerfrei erlassen wurde, folgt aus der dahin gehenden Feststellung im Sachverhalt.

3. Wesentliche materielle Voraussetzung für eine Rechtfertigung ist die Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Im Zusammenhang mit Beschränkungen der Berufsausübung wird es auch so formuliert: Das Gesetz muss vernünftigen Zwecken des Gemeinwohls dienen und darf die Berufstätigen nicht übermäßig oder unzumutbar belasten (BVerfGE 85, 259; 98, 298). Ausreichend ist aber die Prüfung der allgemein geltenden Fassung dieses Prinzips, wonach die Regelung einem legitimen Ziel dienen und hierfür geeignet sein muss, ferner muss sie erforderlich und angemessen sein. BVerfG [20 - 30]:

a) Der Gesetzgeber verfolgt mit dem Gesetz zum Schutz vor nichtionisierender Strahlung bei der Anwendung am Menschen das Ziel, die Bevölkerung - insbesondere Minderjährige - vor UV-Strahlung zu schützen, da eine Vielzahl von wissenschaftlichen Untersuchungen nach seiner Auffassung belegt, dass diese sowohl die Hautkrebsentstehung als auch den Verlauf einer bestehenden Hautkrebserkrankung entscheidend beeinflusst. UV-Strahlung werde von internationalen Organisationen als karzinogen eingestuft (vgl. BTDrs. 16/12276, S. 8). Besonders empfindlich reagiert dabei nach Einschätzung des Gesetzgebers die Haut bei Jugendlichen. Schäden an den Hautzellen, die zu Hautkrebs führen könnten, würden vor allem im Jugendalter angelegt, wenn sich die Haut noch entwickele (vgl. BTDrs. 16/12276, S. 17). § 4 NiSG soll offensichtlich dem Gesundheitsschutz der Minderjährigen dienen.

Dem steht nicht entgegen, dass diese Zusammenhänge nicht absolut gesichert sind und kritisiert werden. Wird der Gesetzgeber zur Verhütung von Gefahren für die Allgemeinheit tätig, so belässt ihm die Verfassung bei der Prognose und Einschätzung der in den Blick genommenen Gefährdung einen Beurteilungsspielraum, der vom BVerfG bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung je nach der Eigenart des in Rede stehenden Sachbereichs, den Möglichkeiten, sich ein hinreichend sicheres Urteil zu bilden, und der auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter nur in begrenztem Umfang überprüft werden kann. Der Beurteilungsspielraum ist erst dann überschritten, wenn die Erwägungen des Gesetzgebers so offensichtlich fehlsam sind, dass sie vernünftigerweise keine Grundlage für die angegriffenen gesetzgeberischen Maßnahmen abgeben können (vgl. BVerfGE 121, 317,350 m. w. N.).… Insbesondere kann keine Rede davon sein, dass die Erwägungen des Gesetzgebers offensichtlich fehlsam sind.

Es liegt auch keine unzulässige Bevormundung des Bürgers durch den Staat vor. Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist es grundsätzlich ein legitimes Gemeinwohlanliegen, Menschen davor zu bewahren, sich selbst leichtfertig einen größeren persönlichen Schaden zuzufügen (vgl. BVerfGE 60, 123, 132…). Insbesondere der Schutz der Jugend ist nach einer vom Grundgesetz selbst getroffenen Wertung ein Ziel von bedeutsamem Rang und ein wichtiges Gemeinschaftsanliegen (vgl. BVerfGE 83, 130, 139).

b) Für die Eignung reicht es aus, wenn durch die Maßnahme der gewünschte Erfolg gefördert werden kann. Es genügt mithin bereits die Möglichkeit einer Zweckerreichung (…). Dass das Verbot des § 4 NiSG die UV-Strahlenexposition von Kindern und Jugendlichen generell verringern kann, ist nicht ernstlich zweifelhaft.

c) Da ein anderes, gleich wirksames…, aber weniger einschränkendes Mittel nicht zur Verfügung steht, ist das gesetzliche Verbot auch erforderlich.

d) Nach BVerfG [40] ist das Verbot auch angemessen (verhältnismäßig i. e. S.): Die darin liegende Regelung der Berufsausübung belastet die Betreiber von öffentlich zugänglichen Sonnenstudios nicht in unzumutbarer Weise. Der Eingriff selbst ist in seiner Reichweite beschränkt. Von den potentiellen Kunden werden den Betreibern von Sonnenstudios und ähnlicher Einrichtungen nur die Minderjährigen und nur für die Dauer ihrer Minderjährigkeit entzogen. Angesichts der hohen Bedeutung des Jugendschutzes und der vom Gesetzgeber vertretbar eingeschätzten Gefahr, die Kindern und Jugendlichen durch die Nutzung von Sonnenbänken droht, erweist sich diese Einschränkung nicht als unverhältnismäßig.

Da das ein Grundrecht beschränkende Gesetz insgesamt verfassungsmäßig sein muss (oben II 2), könnten auch die Interessen der Minderjährigen mit in die Angemessenheitsprüfung einzustellen sein. Üblich ist aber, bei Art. 12 lediglich auf die Inhaber des Grundrechts der Berufsfreiheit abzustellen (vgl. oben II 3: „die Berufstätigen…“). Zumindest im vorliegenden Fall, in dem die Rechtsstellung der Minderjährigen noch unter C. zu prüfen ist, erscheint vorzugswürdig, erst dort auf die Rechte und Interessen der Minderjährigen einzugehen.

Die Prüfung der Grundrechtsverletzung des S kann deshalb mit dem Ergebnis abgeschlossen werden, dass S nicht in seinem Grundrecht aus Art. 12 I GG verletzt ist.

C. M könnte in ihrem Grundrecht auf Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 I GG) verletzt sein.

I. Dann müsste ein Eingriff in den Schutzbereich vorliegen.

1. BVerfG [17]: Der Schutzbereich von Art. 2 Abs. 1 GG ist gegenständlich nicht beschränkt, er umfasst jedes menschliche Verhalten ohne Rücksicht darauf, welches Gewicht ihm für die Persönlichkeitsentfaltung zukommt (vgl. BVerfGE 80, 137, 52; 90, 145, 171; 91, 335, 338). So umschließt die allgemeine Handlungsfreiheit die prinzipielle Befugnis, sein Äußeres nach eigenem Gutdünken zu gestalten (vgl. BVerfGE 47, 239, 248 f.). Auch ein Verhalten, das Risiken für die eigene Gesundheit oder gar deren Beschädigung in Kauf nimmt, ist vom Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit geschützt (vgl. BVerfGE 59, 275, 278 - Schutzhelmpflicht -; 90, 145, 171 - Cannabiskonsum -; BVerfG NJW 1987, 180, 180 - Gurtanlegepflicht -; BVerfG NJW 1999, 3399, 3402 - Organentnahme -). Deshalb wird durch Art. 2 I auch geschützt, ein Sonnenstudio zu besuchen und sich dort künstlich besonnen zu lassen.

2. In die Freiheit zu diesem Verhalten müsste durch § 4 NiSG ein Eingriff erfolgen. BVerfG [18]: § 4 NiSG richtet sein Verbot zwar nicht unmittelbar gegen Minderjährige, sondern wendet sich in erster Linie an Betreiber von Sonnenstudios und ähnlichen Einrichtungen. Die Vorschrift wirkt sich im Ergebnis aber auch für die Beschwerdeführerin wie ein Verbot der Nutzung von Solarien aus und ist damit funktionales Äquivalent (vgl. BVerfGE 105, 279, 300; 110, 177, 191; 113, 63, 76) eines Eingriffs in die allgemeine Handlungsfreiheit. Aufgrund der gleichen Überlegung wurde auch in den, an sich nur an die Geschäftsinhaber gerichteten Ladenschlussgesetzen ein Eingriff auch gegenüber den Kunden angenommen (BerlVerfGH NVwZ 2008, 1005; BVerfGE 13, 230, 232). Auch das an sich nur an die Gäste einer Gaststätte gerichtete Rauchverbot wirkt sich als Eingriff gegenüber den Gastwirten aus (BVerfG NJW 2008, 2409).

Somit greift § 4 NiSG in die allgemeine Handlungsfreiheit der Minderjährigen und damit auch der M ein.

II. Der Eingriff könnte gerechtfertigt sein.

1. Als Schranke kommt die „verfassungsmäßige Ordnung“ in Betracht. Sie wird weit ausgelegt im Sinne der verfassungsmäßigen Rechtsordnung (BVerfGE 6, 37/8; NJW 2001, 1709). Die allgemeine Handlungsfreiheit kann durch jede Rechtsnorm beschränkt werden, die formell und materiell verfassungsmäßig, insbesondere verhältnismäßig ist (Muckel JA 2012, 312). Ein solches Gesetz kann das NiSG sein. Es ist auch formell verfassungsmäßig.

2. Es ist die Verhältnismäßigkeit unter dem Aspekt der Minderjährigen zu prüfen.

a) Der Zweck des Gesetzes wurde bereits bei Art. !2 behandelt. Auch ist die Geeignetheit und Erforderlichkeit bei Art. 2 I aus denselben Gründen zu bejahen wie bei Art. 12.

b) Angemessen ist § 4 NiSG, wenn die Belastung der Minderjährigen durch das Verbot kein größeres Gewicht hat als der Nutzen, der von ihm für die Allgemeinheit und die Minderjährigen selbst ausgeht. BVerfG [32]: Bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs in ein Grundrecht und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe muss die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt sein (vgl. BVerfGE 30, 292, 316;…90, 145, 173). Die Maßnahme darf die Adressaten mithin nicht übermäßig belasten (vgl. BVerfGE 90, 145, 173).

aa) Zum Umfang und zur Gewichtung der Belastung BVerfG [33]: Der Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit durch das Verbot des § 4 NiSG ist für den betroffenen Minderjährigen nicht besonders schwer, aber auch keineswegs belanglos… Durch das Verbot wird dem Minderjährigen im Bereich privater Lebensgestaltung und damit in einem Kernbereich der allgemeinen Handlungsfreiheit die Dispositionsbefugnis über die Gestaltung seines Aussehens und seiner Freizeitgestaltung teilweise genommen, ohne dass es sich dabei um ein gemeinwohlschädliches Verhalten handelt. Außerdem verfolgt die angegriffene Regelung mit dem Schutz vor selbstschädigendem Verhalten ein Ziel, das nur in besonders gravierenden Fällen in der Abwägung mit einem Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit zu bestehen vermag (vgl. BVerfGE 60, 123, 132; BVerfG NJW 1999, S. 3399, 3401). Denn sie umfasst gerade auch im Freizeitbereich die Freiheit, Handlungen vorzunehmen oder Verhaltensweisen an den Tag zu legen, die gesundheitliche Risiken in sich bergen.

bb) Der Nutzen der Regelung für die Allgemeinheit und die Minderjährigen ergibt sich aus ihrem Schutzcharakter. BVerfG [34 - 36]: Mit Rücksicht auf den gebotenen Schutz der Minderjährigen, ihre mangelnde Einsichtsfähigkeit und Reife sind seit langem verschiedene Regelungen auch zum Schutz der Minderjährigen vor Selbstgefährdung und Selbstschädigung in der Rechtsordnung etabliert. Das verfassungsrechtlich bedeutsame Interesse an einer ungestörten Entwicklung der Jugend berechtigt den Gesetzgeber zu Regelungen, durch welche der Jugend drohende Gefahren abgewehrt werden (vgl. BVerfGE 30, 336, 347)… Gemessen hieran hat der Gesetzgeber mit dem Verbot des § 4 NiSG den Minderjährigen keine unzumutbare Einschränkung ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit zugemutet. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass er mit der Annahme der mangelnden Einsichtsfähigkeit oder jedenfalls mangelnden grundsätzlichen Einsichtsbereitschaft eines nicht unerheblichen Teils der Minderjährigen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres in das Gefährdungspotential künstlicher UV-Bestrahlung seinen Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum überschritten hat… Das Verbot des § 4 NiSG erweist sich auch nicht deshalb als unverhältnismäßig, weil der Gesetzgeber Minderjährigen die Benutzung von Solarien verboten hat, obwohl die UV-Strahlung im Hinblick auf die Vitamin-D-Bildung auch positive Auswirkungen haben kann. Nach der nicht zu beanstandenden Einschätzung des Gesetzgebers kann der Vitamin-D-Haushalt auch durch Nahrungsmittel, Nahrungsergänzungsmittel und den Aufenthalt im Freien ausreichend reguliert werden (BTDrs. 16/12276, S. 9). Es ist daher nicht davon auszugehen, dass das Verbot bei Minderjährigen zu gesundheitlichen Problemen aufgrund eines Vitamin-D-Mangels führen wird.

Folglich ist das Verbot auch angemessen.

3. § 4 NiSG verstößt auch nicht gegen das in Art. 6 II 1 GG gewährleistete, nach Art. 6 II 2 allerdings einschränkbare elterliche Erziehungsrecht.

BVerfG [37, 38]: Es kann dahinstehen, ob das Verbot des § 4 NiSG in das grundrechtlich geschützte Erziehungsrecht…eingreift, weil es den Eltern die Möglichkeit nimmt, nach ihren eigenen Erziehungsvorstellungen darüber zu entscheiden, ob ihr Kind ein Sonnenstudio oder eine ähnliche Einrichtung besuchen können soll. Der Eingriff wäre jedenfalls gerechtfertigt. Der Eingriff in das Elterngrundrecht aus Art. 6 Abs. 2 GG wäre nur geringfügig, da es den Eltern unbenommen bleibt, ihrem Kind im privaten Lebensbereich den Zugang zu einer UV-Bestrahlung zu eröffnen, wenn sie dies für verantwortbar und richtig halten. Der Gesetzgeber war von Verfassungs wegen auch nicht gehalten, aus Verhältnismäßigkeitserwägungen ein bloßes Verbot mit elterlichem Einverständnisvorbehalt vorzusehen. Angesichts der allenfalls geringen Eingriffsintensität durfte er sich auf ein umfassendes, nicht nach Altersgruppen und daran anknüpfende Einverständnispflichten differenzierendes und damit für alle Beteiligten leicht praktikables Verbot entscheiden.

Art. 2 I ist nicht verletzt.

Beide Verfassungsbeschwerden sind unbegründet.


Zusammenfassung