Bearbeiter: Prof. Dieter Schmalz

Grundrechtsbindung gemischtwirtschaftlicher Unternehmen. Unmittelbare Anwendung der Grundrechte bei privatrechtlichem Handeln. Versammlungsfreiheit; Versammlungen unter freiem Himmel, Art. 8 I, II GG. Meinungsfreiheit, Art. 5 I, II GG. Verhältnismäßigkeit von Grundrechtsbeschränkungen

BVerfG Urteil vom 22. 2. 2011 (1 BvR 699/06) NJW 2011, 1201

Fall
(Initiative gegen Abschiebungen - Frankfurter Flughafen)

Der Frankfurter Flughafen wird von der Fraport Aktiengesellschaft (F-AG) betrieben. 52 % der Aktien sind im Besitz des Landes Hessen und der Stadt Frankfurt (über die Stadtwerke); die restlichen Aktien sind im Besitz verschiedener Privatunternehmen und -personen.

Seit dem kontinuierlichen Ausbau sämtlicher Flughafenanlagen befinden sich sowohl auf der „Luftseite“, dem nur mit Bordkarte zugänglichen Bereich hinter den Sicherheitskontrollen, als auch auf der „Landseite“, dem ohne Bordkarte zugänglichen Bereich vor den Sicherheitskontrollen, eine Vielzahl von Läden und Serviceeinrichtungen sowie eine Reihe von Restaurants, Bars und Cafés. So bietet der Flughafen seinen Besuchern auf der Landseite ausgedehnte Einkaufsmöglichkeiten mit Läden in den Kategorien „Bücher und Zeitschriften“, „Schönheit und Wellness“, „Tabakwaren und Spirituosen“, „Fashion und Accessoires“, „Blumen und Souvenirs“, „Foto und Elektronik“, „Uhren und Schmuck“. Auch befinden sich dort Gastronomiebetriebe, die vom gehobenen Restaurant über Cafés und Bars bis hin zum Schnellimbiss reichen. Daneben offerieren verschiedene Dienstleister ihre Angebote wie zum Beispiel ein Friseursalon, eine Bank, zwei Textilreinigungen und eine Vielzahl von Reiseanbietern. Die F-AG bewirbt dies mit dem Slogan: „Airport Shopping für alle!“, „Auf 4.000 Quadratmetern zeigt sich der neue Markplatz in neuem Gewand und freut sich auf Ihren Besuch!“.

Die Benutzung des Flughafengeländes regelt die F-AG durch die vom Land Hessen genehmigte Flughafenbenutzungsordnung, in der u. a. bestimmt ist:

4. Sammlungen, Werbungen sowie das Verteilen von Flugblättern und sonstigen Druckschriften bedürfen der Einwilligung des Flughafenunternehmers.

5. Versammlungen sind unzulässig.

Frau B, die spätere Bf. im Verfassungsbeschwerdeverfahren, betrat am 11. März gemeinsam mit fünf weiteren Aktiven der „Initiative gegen Abschiebungen“ den Terminal 1 des Flughafens, sprach an einem Abfertigungsschalter Mitarbeiter der Deutschen Lufthansa an und verteilte Flugblätter zu einer bevorstehenden Abschiebung. Mitarbeiter der F-AG und Einsatzkräfte der Bundespolizei beendeten die Aktion. Am 12. 3. sprach die F-AG der B gegenüber für den Fall, dass sie wieder unberechtigt den Flughafen betreten wolle, ein „Flughafenverbot“ aus und erklärte, die F-AG dulde „aus Gründen des reibungslosen Betriebsablaufes und der Sicherheit im Terminal grundsätzlich keine mit uns nicht abgestimmte Demonstrationen und auch kein Verteilen von Flugblättern“.

Die von B vor dem zuständigen Amtsgericht erhobene Klage gegen die F-AG mit dem Antrag, das Flughafenverbot für unberechtigt zu erklären, wurde abgewiesen; das Landgericht wies die Berufung, der BGH die Revision zurück. Die Gerichte führten zur Begründung aus, die F-AG könne sich als Eigentümerin auf ihr Hausrecht berufen. Beim Betrieb der öffentlich zugänglichen Teile des Flughafens übe die F-AG keine Hoheitsrechte aus, so dass sie keiner Grundrechtsbindung unterliege. Die Beteiligung der öffentlichen Hand an der F-AG mit nur 52 % reiche für eine Grundrechtsbindung nicht aus. Im Übrigen ergebe die Abwägung zwischen dem Eigentums- und Hausrecht der F-AG und den Grundrechten der B keinen Vorrang der Grundrechte der B, zumal die Versammlungsfreiheit kein Recht darauf gebe, eine Versammlung in fremden Räumen veranstalten zu dürfen. Das Flughafenverbot diene der Durchsetzung von Nr. 4 und 5 der Flughafenbenutzungsordnung und sei weder willkürlich noch unverhältnismäßig.

B hat gegen die Urteile in zulässiger Weise Verfassungsbeschwerde erhoben. Ist die VfB begründet ?

Eine VfB ist begründet, wenn der Beschwerdeführer in einem Grundrecht verletzt ist.

A. B könnte durch die Urteile in ihrem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) verletzt sein.

I. Dann müsste dieses Grundrecht im vorliegenden Fall anwendbar sein. Das ist zweifelhaft, weil das Flughafenverbot von der F-AG, einer privatrechtlichen juristischen Person erlassen worden ist.

1. Nach Art. 1 III GG gelten die Grundrechte unmittelbar zwischen dem Staat (Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung) und den Bürgern (natürlichen Personen) sowie juristischen Personen nach Maßgabe des Art. 19 III GG. Demgegenüber gelten die Grundrechte zwischen Privatpersonen grundsätzlich nicht unmittelbar, sondern zwischen ihnen gilt Privatrecht. Allerdings kann auch das Privatrecht, insbesondere soweit unbestimmte Rechtsbegriffe und Generalklauseln zur Anwendung kommen, mit Hilfe der Grundrechte auszulegen sein, so dass es zu einer mittelbaren Grundrechtswirkung, auch als Drittwirkung der Grundrechte bezeichnet, kommen kann.

2. Eine unmittelbare Grundrechtswirkung könnte sich daraus ergeben, dass staatliche Gerichte entschieden haben und sich die VfB gegen deren Urteile richtet. Nach Art. 1 III GG sind auch die Gerichte an die Grundrechte gebunden. Diese Bindung betrifft aber zunächst nur deren eigenes Verfahren, z. B. ob sie den Parteien rechtliches Gehör gewähren und im Verfahren ihre Persönlichkeitsrechte wahren. Im vorliegenden Fall geht es aber nicht um das Verfahren der Gerichte, sondern um den Inhalt ihrer Urteile, die zu dem Ergebnis gekommen sind, dass das Flughafenverbot berechtigt ist. Der Inhalt der Urteile richtet sich bei Streitigkeiten zwischen Privatpersonen - der B und der F-AG - grundsätzlich nach Privatrecht und nicht unmittelbar nach den Grundrechten. Also gelten die Grundrechte für den Inhalt eines Urteils nicht schon deshalb unmittelbar, weil ein Gericht entscheidet, sondern ihre Geltung muss sich aus dem Inhalt der Streitigkeit ergeben. Inhalt der Streitigkeit ist im vorliegenden Fall die Frage, ob die F-AG gegenüber B zum Erlass des Flughafenverbots befugt war.

3. Innerhalb dieser Streitigkeit gelten Grundrechte, wenn die F-AG der Grundrechtsbindung unterliegt. Da die F-AG eine juristische Person des Privatrechts ist, kann sich das nur daraus ergeben, dass die öffentliche Hand an der F-AG zu 52 % beteiligt ist.

a) Das BVerfG holt zunächst weit aus, indem es bei Abs.-Nr. 47, 48 ausführt: Gemäß Art. 1 Abs. 3 GG binden die Grundrechte Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht. Sie gelten nicht nur für bestimmte Bereiche, Funktionen oder Handlungsformen staatlicher Aufgabenwahrnehmung, sondern binden die staatliche Gewalt umfassend und insgesamt. Der Begriff der staatlichen Gewalt ist dabei weit zu verstehen und erstreckt sich nicht nur auf imperative Maßnahmen… Grundrechtsgebundene staatliche Gewalt im Sinne des Art. 1 Abs. 3 GG ist danach jedes Handeln staatlicher Organe oder Organisationen….

Art. 1 Abs. 3 GG liegt dabei eine elementare Unterscheidung zugrunde: Während der Bürger prinzipiell frei ist, ist der Staat prinzipiell gebunden. Der Bürger findet durch die Grundrechte Anerkennung als freie Person, die in der Entfaltung ihrer Individualität selbstverantwortlich ist. Er und die von ihm gegründeten Vereinigungen und Einrichtungen können ihr Handeln nach subjektiven Präferenzen in privater Freiheit gestalten, ohne hierfür grundsätzlich rechenschaftspflichtig zu sein… Demgegenüber handelt der Staat in treuhänderischer Aufgabenwahrnehmung für die Bürger und ist ihnen rechenschaftspflichtig. Seine Aktivitäten verstehen sich nicht als Ausdruck freier subjektiver Überzeugungen in Verwirklichung persönlicher Individualität, sondern bleiben in distanziertem Respekt vor den verschiedenen Überzeugungen der Staatsbürger und werden dementsprechend von der Verfassung umfassend an die Grundrechte gebunden…Sobald der Staat eine Aufgabe an sich zieht, ist er bei deren Wahrnehmung auch an die Grundrechte gebunden, unabhängig davon, in welcher Rechtsform er handelt. Dies gilt auch, wenn er für seine Aufgabenwahrnehmung auf das Zivilrecht zurückgreift.

b) Diese Grundsätze müssen im Hinblick auf den Betrieb von Unternehmen mit öffentlicher Beteiligung konkretisiert werden.

aa) BVerfG Abs.-Nr. 50: Für öffentliche Unternehmen in Privatrechtsform, die vollständig im Eigentum der öffentlichen Hand stehen, ist anerkannt, dass die Grundrechtsbindung nicht nur den oder die Träger des jeweiligen Unternehmens trifft, sondern das Unternehmen selbst (vgl. BVerwGE 113, 208 [211]; Rüfner, in: Isensee/Kirchhof, HStR V, 2. Aufl. 2000, § 117 Rn. 49;…Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht II, 25. Aufl. 2009, Rn. 187; Höfling, in: Sachs, GG, 5. Aufl. 2009, Art. 1 Rn. 104).

bb) Im vorliegenden Fall steht die F-AG nur zu 52 % im Besitz der öffentlichen Hand, während sich 48 % im Besitz Privater befinden, was als gemischwirtschaftliches Unternehmen bezeichnet wird. Für solche Unternehmen stellt das BVerfG zunächst fest, dass über die Grundrechtsbindung nur einheitlich und nicht nach Quoten entschieden werden kann (Abs.-Nr. 52), und führt dann unter Abs.-Nr. 53 aus: Ein gemischtwirtschaftliches Unternehmen unterliegt dann der unmittelbaren Grundrechtsbindung, wenn es von den öffentlichen Anteilseignern beherrscht wird. Dies ist in der Regel der Fall, wenn mehr als die Hälfte der Anteile im Eigentum der öffentlichen Hand stehen…Abs.-Nr.54: Das Kriterium der Beherrschung mit seiner Anknüpfung an die eigentumsrechtlichen Mehrheitsverhältnisse stellt danach nicht auf konkrete Einwirkungsbefugnisse hinsichtlich der Geschäftsführung ab, sondern auf die Gesamtverantwortung für das jeweilige Unternehmen: Anders als in Fällen, in denen die öffentliche Hand nur einen untergeordneten Anteil an einem privaten Unternehmen hält, handelt es sich dann grundsätzlich nicht um private Aktivitäten unter Beteiligung des Staates, sondern um staatliche Aktivitäten unter Beteiligung von Privaten. Für sie gelten unabhängig von ihrem Zweck oder Inhalt die allgemeinen Bindungen staatlicher Aufgabenwahrnehmung. Bei der Entfaltung dieser Aktivitäten sind die öffentlich beherrschten Unternehmen unmittelbar durch die Grundrechte gebunden und können sich umgekehrt gegenüber Bürgern nicht auf eigene Grundrechte stützen.

cc). Für die privaten Anteilseigner bedeutet das allerdings eine doppelte Schlechterstellung: Das teilweise in ihrem Besitz stehende Unternehmen wird an die Grundrechte gebunden und kann sich seinerseits nicht auf Grundrechte berufen. Jedoch liegt nach BVerfG Abs.-Nr. 55 - 58 darin keine ungerechtfertigte Einbuße. Ob sich Investoren an einem öffentlich beherrschten Unternehmen beteiligen oder nicht, liegt in ihrer freien Entscheidung, und auch wenn sich die Mehrheitsverhältnisse erst nachträglich ändern, steht es ihnen - wie bei der Änderung von Mehrheitsverhältnissen sonst - frei, hierauf zu reagieren. Sofern sich Private an solchen Unternehmen beteiligen, haben sie an den Chancen und Risiken, die sich aus den Handlungsbedingungen der öffentlichen Hand ergeben, gleichermaßen teil…

Auch hindert die unmittelbare Grundrechtsbindung öffentlich beherrschte Unternehmen nicht, sich erwerbswirtschaftlich am Wirtschaftsverkehr zu beteiligen. Insbesondere verbietet auch Art. 3 Abs. 1 GG Differenzierungen nicht, die an marktrelevante Kriterien wie Produktqualität, Zuverlässigkeit und Zahlungsfähigkeit anknüpfen, um ein wettbewerbliches Wirtschaften des Unternehmens zu ermöglichen…
Allerdings steht es ihnen nicht frei, ihre wirtschaftliche Tätigkeit nach Belieben mit subjektiv weltanschaulichen Präferenzen oder Zielsetzungen und hierauf beruhenden Differenzierungen zu verbinden.

c) BVerfG Abs.-Nr. 60: Die F-AG ist als Aktiengesellschaft, deren Anteile zu mehr als 50 % von öffentlichen Anteilseignern gehalten werden, folglich unmittelbar an die Grundrechte des Grundgesetzes gebunden.

II. Ob Art. 8 GG verletzt ist, hängt zunächst davon ab, ob ein Eingriff in den Schutzbereich dieses Grundrechts vorliegt

1. Der Schutzbereich hat zur Voraussetzung, dass eine Versammlung vorliegt.

a) BVerfG Abs.-Nr. 63: Art. 8 Abs. 1 GG schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke einer gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammen zu kommen (vgl. BVerfGE 104, 92 [104]; 111, 147 [154 f.]). B und die anderen Aktiven sind in der Halle des Flughafens zusammengekommen, um gemeinsam ihre Kritik an der Abschiebung bestimmter Person zum Ausdruck zu bringen; ob und in welchen Fällen Menschen abgeschoben werden sollen, ist ein Gegenstand öffentlichen Interesses und damit der öffentlichen Meinungsbildung. Es lag also eine Versammlung vor. Sie war auch friedlich, und ihre Teilnehmer waren nicht bewaffnet.

b) Eine Versammlung ist an eine bestimmte Örtlichkeit gebunden. Grundsätzlich darf auch der Ort der Versammlung vom Veranstalter selbst bestimmt werden. Fraglich ist aber, ob auch Versammlungen im Frankfurter Flughafen, dessen Gelände im Eigentum der F-AG steht, unter den Schutzbereich des Art. 8 fallen. BVerfG Abs.-Nr. 65 - 77, 66: Die Versammlungsfreiheit verschafft kein Zutrittsrecht zu beliebigen Orten. Insbesondere gewährt es dem Bürger keinen Zutritt zu Orten, die der Öffentlichkeit nicht allgemein zugänglich sind oder zu denen schon den äußeren Umständen nach nur zu bestimmten Zwecken Zugang gewährt wird. Die Durchführung von Versammlungen etwa in Verwaltungsgebäuden oder in eingefriedeten, der Allgemeinheit nicht geöffneten Anlagen ist durch Art. 8 Abs. 1 GG ebenso wenig geschützt wie etwa in einem öffentlichen Schwimmbad oder Krankenhaus… Demgegenüber verbürgt die Versammlungsfreiheit die Durchführung von Versammlungen dort, wo ein allgemeiner öffentlicher Verkehr eröffnet ist.

aa) Das ist zunächst der öffentliche Straßenraum. Dieser ist das natürliche und geschichtlich leitbildprägende Forum, auf dem Bürger ihre Anliegen besonders wirksam in die Öffentlichkeit tragen und hierüber die Kommunikation anstoßen können. Vor allem innerörtliche Straßen und Plätze werden heute als Stätten des Informations- und Meinungsaustausches sowie der Pflege menschlicher Kontakte angesehen.

bb) Entsprechendes gilt aber auch für Stätten außerhalb des öffentlichen Straßenraums, an denen in ähnlicher Weise ein öffentlicher Verkehr eröffnet ist und Orte der allgemeinen Kommunikation entstehen… Der Frankfurter Flughafen ist in wesentlichen Bereichen als Ort allgemeinen kommunikativen Verkehrs ausgestaltet. Zwar gilt dies nicht für den gesamten Flughafen. So ist eine Berufung auf die Versammlungsfreiheit für die Sicherheitsbereiche, die nicht allgemein zugänglich sind, ebenso ausgeschlossen wie für solche Bereiche, die nur bestimmten Funktionen (zum Beispiel der Gepäckausgabe) dienen. Jedoch umfasst der Flughafen auch große Bereiche, die als Orte des Flanierens und des Gesprächs, als Wege zum Einkaufen und zu Gastronomiebetrieben ausgestaltet sind und hierfür einen allgemeinen Verkehr eröffnen. Unter der Rubrik „Einkaufen und Erleben“ wirbt die F-AG, die sich als „City in the City“ versteht, im Internet: „Airport Shopping für alle!“, „Auf 4.000 Quadratmetern zeigt sich der neue Marktplatz in neuem Gewand und freut sich auf Ihren Besuch!“. Hier sind ersichtlich Orte als allgemein zugängliche öffentliche Foren ausgestaltet, deren Verkehrsflächen Versammlungen damit grundsätzlich offen stehen. Da B sich in diesem Bereich bewegt hat und nicht im Sicherheitsbereich nach der Eingangskontrolle, fiel ihr Verhalten unter den Schutzbereich des Art. 8 GG.

2. Weiterhin müsste ein Eingriff vorgelegen haben.

a) Fraglich ist der Eingriffsakt. Die Belastung der B ergibt sich aus dem Versammlungs- und Flughafenverbot der F-AG, so dass dieses als Eingriffsakt angesehen werden könnte (so Muckel in der Besprechung des Falles in JA 2011, 558). Andererseits ist dieses kein Hoheitsakt, vielmehr sind Hoheitsakte die mit der VfB angegriffenen gerichtlichen Urteile. Das BVerfG fasst bei Abs.-Nr. 62 beides zusammen und bezeichnet als Eingriffsakt das durch die angegriffenen Entscheidungen bestätigte Verbot. (Sachs JuS 2011, 665 nimmt in der Besprechung dieses Falles keine Stellung zum Eingriffsakt. - Demgegenüber wird Nr. 5 der Flughafenbenutzungsordnung nicht als Eingriffsakt angesehen.)

b) BVerfG Abs.-Nr. 73: Die F-AG untersagt der Bf.…die Durchführung von Versammlungen ohne ihre Erlaubnis für den gesamten Bereich des Flughafens. Indem die angegriffenen Entscheidungen dieses Verbot bestätigen, greifen sie in die Versammlungsfreiheit der Bf.

III. Der Eingriff könnte gerechtfertigt sein.

1. Eingriffe in die Versammlungsfreiheit sind nach Art. 8 II GG nur zulässig, wenn es sich um Versammlungen unter freiem Himmel handelt.

a) BVerfG Abs.-Nr. 77: Der Begriff der „Versammlung unter freiem Himmel“ des Art. 8 Abs. 2 GG darf nicht in einem engen Sinne als Verweis auf einen nicht überdachten Veranstaltungsort verstanden werden. Sein Sinn erschließt sich vielmehr zutreffend erst in der Gegenüberstellung der ihm unterliegenden versammlungsrechtlichen Leitbilder: Während „Versammlungen unter freiem Himmel“ idealtypisch solche auf öffentlichen Straßen und Plätzen sind, steht dem als Gegenbild die Versammlung in von der Öffentlichkeit abgeschiedenen Räumen wie etwa in Hinterzimmern von Gaststätten gegenüber. Dort bleiben die Versammlungsteilnehmer unter sich und sind von der Allgemeinheit abgeschirmt, so dass Konflikte, die eine Regelung erforderten, weniger vorgezeichnet sind. Demgegenüber finden Versammlungen „unter freiem Himmel“ in der unmittelbaren Auseinandersetzung mit einer unbeteiligten Öffentlichkeit statt… Hier besteht im Aufeinandertreffen der Versammlungsteilnehmer mit Dritten ein höheres, weniger beherrschbares Gefahrenpotential… Art. 8 Abs. 2 GG trägt dem Umstand Rechnung, dass in solcher Berührung mit der Außenwelt ein besonderer, namentlich organisations- und verfahrensrechtlicher Regelungsbedarf besteht, um einerseits die realen Voraussetzungen für die Ausübung des Versammlungsrechts zu schaffen, anderseits kollidierende Interessen anderer hinreichend zu wahren (vgl. BVerfGE 69, 315 [348]).

b) BVerfG Abs.-Nr. 78: Hiervon ausgehend unterliegen die von der Bf. erstrebten Versammlungen im Frankfurter Flughafen dem Gesetzesvorbehalt des Art. 8 Abs. 2 GG. Zwar liegen die Orte, für die die Bf. die Versammlungsfreiheit in Anspruch nimmt, hauptsächlich im Innern des Flughafens und sind damit überdacht und seitlich begrenzt. Die beabsichtigten Versammlungen sollen jedoch nicht in eigenen, von den anderen Flughafengästen abgeschirmten Räumlichkeiten durchgeführt werden, sondern inmitten des allgemeinen Flughafenpublikums, an das sich die kollektiven Meinungskundgaben richten. Im Sinne des Art. 8 Abs. 2 GG gelten deshalb Versammlungen in derartigen Räumlichkeiten als „Versammlungen unter freiem Himmel“, die nach allgemeinen Grundsätzen gesetzlich beschränkt werden können.

2. Beschränkungen der Versammlungsfreiheit bedürfen nach Art. 8 II GG eines Gesetzes (Gesetzesvorbehalt). BVerfG Abs.-Nr. 79: Die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches können als ein die Versammlungsfreiheit beschränkendes Gesetz im Sinne des Art. 8 Abs. 2 GG herangezogen werden. Das zivilrechtliche Hausrecht gemäß § 903 Satz 1, § 1004 BGB ist dementsprechend grundsätzlich geeignet, Eingriffe in die Versammlungsfreiheit zu rechtfertigen. Unberührt bleiben hiervon die Versammlungsgesetze als maßgebliche Rechtsgrundlage der Befugnisse der Versammlungsbehörden für alle Orte allgemeinen kommunikativen Verkehrs. Abs.-Nr. 82: Danach kann die öffentliche Hand, wenn sie in den Formen des Privatrechts handelt, Beschränkungen der Versammlungsfreiheit zusätzlich auf die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches, hier § 903 Satz 1, § 1004 BGB, stützen….Dem steht nicht entgegen, dass es sich insoweit nicht um versammlungsbezogene Vorschriften handelt und damit deren Reichweite für Versammlungen durch den Gesetzgeber inhaltlich nicht näher präzisiert ist. Da die öffentliche Hand hier wie jeder Private auf die allgemeinen Vorschriften des Zivilrechts zurückgreift, ihr also keine spezifisch hoheitlichen Befugnisse eingeräumt werden und sie ihre Entscheidungen grundsätzlich auch nicht einseitig durchsetzen kann, sind die sonst an Eingriffsgesetze zu stellenden Anforderungen zurückgenommen. Auch das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG kann gegenüber solchen unspezifischen Bestimmungen eine Warnfunktion nicht erfüllen und findet keine Anwendung..

3. Als Folge dessen, dass die F-AG an Art. 8 gebunden ist und in dieses Grundrecht der B eingreift, muss sie dabei den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren (ebenso wie wenn auf Grund öffentlichen Rechts in das Grundrecht eingegriffen wird).

a) Hierfür bedarf es zunächst eines legitimen Zwecks. BVerfG Abs.-Nr. 87: Bei Versammlungen, die im Bereich eines Flughafens durchgeführt werden, gehören hierzu vor allem die Sicherheit und Funktionsfähigkeit des Flughafenbetriebs…Maßnahmen, die der Sicherheit und Leichtigkeit der Betriebsabläufe sowie dem Schutz der Fluggäste, der Besucher oder der Einrichtungen des Flughafens dienen, können folglich grundsätzlich auf das Hausrecht gestützt werden. Nach der von der F-AG gegebenen Begründung verfolgt sie mit dem Flughafenverbot einen solchen Zweck.

b) BVerfG Abs.-Nr. 88: Versammlungsbeschränkungen müssen zur Erreichung dieser Zwecke nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit weiterhin geeignet, erforderlich und angemessen sein. Ein generelles Verbot von Versammlungen im Flughafen ist geeignet, Störungen der Funktionsfähigkeit des Flughafens abzuwehren. Jedoch ist es nur erforderlich, wenn entsprechende Störungen auch vorliegen. BVerfG Abs.-Nr. 90: Eine Untersagung einer Versammlung kommt nur in Betracht, wenn eine unmittelbare, aus erkennbaren Umständen herleitbare Gefahr für mit der Versammlungsfreiheit gleichwertige, elementare Rechtsgüter vorliegt. Für das Vorliegen der „unmittelbaren“ Gefährdung bedarf es einer konkreten Gefahrenprognose. Bloße Belästigungen Dritter, die sich aus der Gruppenbezogenheit der Grundrechtsausübung ergeben und sich ohne Nachteile für den Versammlungszweck nicht vermeiden lassen, reichen hierfür nicht… Die Untersagung einer Versammlung kommt als ultima ratio nur in Betracht, wenn die Beeinträchtigungen anders nicht verhindert werden können (vgl. BVerfGE 69, 315 [353]).

BVerfG Abs.-Nr. 95: Das von der F-AG ausgesprochene Flughafenverbot untersagt der Bf. die Durchführung jeglicher Versammlungen in allen Bereichen des Flughafens, sofern diese nicht vorher nach Maßgabe einer grundsätzlich freien Entscheidung von der F-AG erlaubt werden. Es beschränkt sich folglich nicht auf die Abwehr konkret drohender Gefahren für mit der Versammlungsfreiheit gleichwertige, elementare Rechtsgüter, sondern versteht sich als generelles Demonstrationsverbot gegenüber der Bf.…Die Bf. muss danach für künftige Versammlungen in allen Bereichen des Flughafens um eine Erlaubnis nachsuchen. Dabei ist nicht erkennbar, unter welchen Bedingungen diese erteilt würde; vielmehr wird hierbei der F-AG ein im Grundsatz freies Entscheidungsrecht zuerkannt. Die gerichtliche Bestätigung eines solch generellen Versammlungsverbots in dem zu weiten Teilen als öffentliches Forum ausgestalteten Flughafen genügt den Verhältnismäßigkeitsanforderungen nicht.

4. Somit ist der Eingriff im die Versammlungsfreiheit unverhältnismäßig und nicht gerechtfertigt. Art. 8 GG ist verletzt.

B. Außerdem könnte das Grundrecht der B auf Meinungsfreiheit (Art. 5 I GG) verletzt sein. Auch dieses Grundrecht ist infolge der Grundrechtsbindung der F-AG anwendbar.

I. Es müsste ein Eingriff in den Schutzbereich gegeben sein.

1. BVerfG Abs.-Nr. 97, 98: Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG schützt das Äußern einer Meinung nicht nur hinsichtlich ihres Inhalts, sondern auch hinsichtlich der Form ihrer Verbreitung (vgl. BVerfGE 54, 129 [138 f.]; 60, 234 [241]; 76, 171 [192]). Hierzu gehört namentlich das Verteilen von Flugblättern, die Meinungsäußerungen enthalten… Anders als im Fall des Art. 8 Abs. 1 GG ist dabei die Meinungskundgabe nicht schon ihrem Schutzbereich nach auf öffentliche, der Kommunikation dienende Foren begrenzt. Denn im Gegensatz zur kollektiv ausgeübten Versammlungsfreiheit impliziert die Ausübung der Meinungsfreiheit als Recht des Einzelnen in der Regel keinen besonderen Raumbedarf… Als Individualrecht steht sie dem Bürger vom Grundsatz her überall dort zu, wo er sich jeweils befindet. Folglich fiel das Ansprechen von Personen und das Verbreiten von Flugblättern durch B unter den Schutzbereich des Art. 5 I GG.

2. BVerfG Abs.-Nr. 99: Die angegriffenen Entscheidungen bestätigen das von der F-AG erteilte Flughafenverbot und legen dieses dahingehend aus, dass der Bf. ein Betreten und eine Nutzung des Flughafens nur nach Maßgabe der Flughafenbenutzungsordnung erlaubt sind, die ihrerseits das Verteilen von Flugblättern und sonstigen Druckschriften von einer vorab einzuholenden Erlaubnis abhängig macht. Der Bf. wird damit der Zutritt zu dem - der Öffentlichkeit sonst allgemein zugänglichen - Flughafen dann verwehrt, wenn sie dort Flugblätter verteilen will. Hierin liegt seitens der F-AG ein Eingriff in die Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.

II. Der Eingriff könnte über Art. 5 II GG gerechtfertigt sein.

1. BVerfG Abs.-Nr. 100: Die Meinungsfreiheit…findet ihre Schranken in den allgemeinen Gesetzen. Zu diesen zählen auch die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches einschließlich des aus § 903 Satz 1 und § 1004 BGB abzuleitenden Hausrechts. Grundsätzlich kann damit die F-AG Beschränkungen der Meinungskundgabe im Bereich des Flughafens auf ihr Hausrecht stützen.

2. Auch hierbei ist das Gebot zur Verhältnismäßigkeit zu beachten.

a) Was den zu verfolgenden Zweck betrifft, kann das Verbot der Verteilung kritischer Flugblätter nach BVerfG Abs.-Nr. 103, 104 nicht auf den Wunsch gestützt werden, eine „Wohlfühlatmosphäre“ in einer reinen Welt des Konsums zu schaffen, die von politischen Diskussionen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen frei bleibt. Ein vom Elend der Welt unbeschwertes Gemüt des Bürgers ist kein Belang, zu dessen Schutz der Staat Grundrechtspositionen einschränken darf (vgl. BVerfGE 102, 347 [364])… Erst recht ausgeschlossen sind Verbote zu dem Zweck, bestimmte Meinungsäußerungen allein deshalb zu unterbinden, weil sie von der F-AG nicht geteilt, inhaltlich missbilligt oder wegen kritischer Aussagen gegenüber dem betreffenden Unternehmen als geschäftsschädigend beurteilt werden.

Nicht verwehrt ist es der F-AG demgegenüber, kraft ihres Hausrechts das Verteilen von Flugblättern und sonstigen Formen von Meinungsäußerungen insoweit einzuschränken, als dies zur Gewährleistung der Sicherheit und Funktionsfähigkeit des Flugbetriebs erforderlich ist.

b) BVerfG Abs.-Nr. 105: Die Einschränkungen der Meinungskundgabe müssen zur Erreichung des Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen sein. Dies schließt es jedenfalls aus, das Verteilen von Flugblättern im Flughafen generell zu verbieten oder von einer Erlaubnis abhängig zu machen. Insoweit gilt das Gleiche wie bei der Versammlungsfreiheit. Das generelle Verbot, Flugblätter ohne Erlaubnis der F-AG zu verteilen, ohne dass damit konkret bezeichnete Störungen verhindert werden sollen, und ein zu dessen Durchsetzung ausgesprochenes Flughafenverbot gehen über das Erforderliche hinaus und sind unverhältnismäßig.

3. Somit verletzt das von den Gerichten bestätigte Flughafenverbot für den Fall, dass B Flugblätter verteilen will, auch Art. 5 I GG. Die VfB ist infolgedessen begründet. Das BVerfG wird die angegriffenen Urteile aufheben (§ 95 II BVerfGG), so dass die Gerichte - zunächst das Amtsgericht - erneut und im Sinne der B zu entscheiden haben.

(Dem Urteil ist ein abweichendes Votum beigefügt, das sich dagegen wendet, dass Teile des Flughafens als öffentliches Forum angesehen werden, und beurteilt die Verhältnismäßigkeit anders.)


Zusammenfassung