Bearbeiter: Prof. Dieter Schmalz

Ausdehnung des Art. 19 III GG auf juristische Personen aus EU-Mitgliedstaaten. Einwirken von EU-Recht auf Auslegung und Anwendung der Grundrechte des GG. Urheberrecht als Eigentum i. S. des Art. 14 GG. Richtlinienkonforme Auslegung deutschen Rechts. Bindungswirkung einer EuGH-Entscheidung nach Art. 267 AEUV. Prüfungskompetenz des BVerfG. Mittelbare Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht. Urteilsverfassungsbeschwerde, spezifische Verfassungsverletzung. EuGH als gesetzlicher Richter i. S. des Art. 101 I 2 GG

BVerfG Beschluss vom 19. 7. 2011 (1 BvR 1916/09) NJW 2011, 3428

Fall
(Le-Corbusier-Möbel)

Zum Schutze der einem Urheber vorbehaltenen Rechte an seinem Werk räumt das Urheberrechtsgesetz (UrhG) dem Urheber das alleinige Verbreitungsrecht ein. Nach § 17 I UrhG ist das Verbreitungsrecht das Recht, das Original oder Vervielfältigungsstücke des Werkes der Öffentlichkeit anzubieten oder in Verkehr zu bringen. Diese Vorschrift dient auch der Umsetzung der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates von 2001 (ABl Nr. L 167, Urheberrechtsrichtlinie, UrhRiLi). Die Urheberrechtsrichtlinie regelt das Verbreitungsrecht in Art. 4, dessen Absatz 1 lautet: Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass den Urhebern in Bezug auf das Original ihrer Werke oder auf Vervielfältigungsstücke davon das ausschließliche Recht zusteht, die Verbreitung an die Öffentlichkeit in beliebiger Form durch Verkauf oder auf sonstige Weise zu erlauben oder zu verbieten.

Firma Cassina (C) ist eine in Italien ansässige società per azioni (S.P.A.), eine rechtsfähige Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Sie produziert Polstermöbel nach Entwürfen des Möbeldesigners Le Corbusier. Zwischen ihr und der Fondation Le Corbusier in Paris, die die Rechte des verstorbenen Le Corbusier wahrnimmt, bestehen urheberrechtliche Exklusivverträge für die Herstellung und den Verkauf der Möbel. Die Verträge erlauben der C auch das Vorgehen gegen Rechtsverletzungen.

Die deutsche Firma Z ist Zigarrenherstellerin und richtete in einer Ausstellungshalle eine Zigarrenlounge ein. Sie erwarb von der in Bologna ansässigen Firma F Nachbildungen von Sesseln und Sofas der Le-Corbusier-Möbel und stellte diese in der Lounge auf. F verfügt nicht über urheberrechtliche Nutzungsrechte an den Möbelmodellen.

C klagte vor den deutschen Zivilgerichten gegen Z auf Unterlassung der Aufstellung der Möbel und stützte sich dabei auf § 97 I UrhG, wonach der Urheber bei Verletzung des Urheberrechts vom Verletzer Beseitigung der Beeinträchtigung, bei Wiederholungsgefahr Unterlassung verlangen kann. Der letztinstanzlich angerufene BGH hielt es für ungeklärt, ob ein unzulässiges Verbreiten i. S. der § 17 I UrhG, Art. 4 I UrhRiLi auch vorliegt, wenn geschützte Werkstücke anderen Personen ohne Übertragung von Eigentum nur zu einem vorübergehenden Gebrauch zur Verfügung gestellt werden, etwa indem diese Personen sich in die Sessel oder Sofas setzen. In einem Parallelverfahren legte er diese Frage nach Art. 267 AEUV dem EuGH vor. Dieser entschied (Slg. 2008, I-2731, Peek&Cloppenburg/Cassina), dass eine Verbreitung im Sinne der Urheberrichtlinie nur bei einer Übertragung von Eigentum und nicht bei einer anderen Art der Nutzungsüberlassung vorliege, und begründete das damit, dass Art. 4 UrhRiLi von einer „Verbreitung…durch Verkauf oder auf sonstige Weise“ spricht und dass die enge Auslegung auch durch völkerrechtliche Verträge gefordert werde.

Im Verfahren der C gegen Z stellte sich der BGH auf den Standpunkt, er sei an die Rechtsauffassung des EuGH gebunden. Die EU-Urheberrichtlinie diene der Rechtsharmonisierung und begründe nicht nur einen Mindestschutz, hinter dem die Mitgliedstaaten bei der Bestimmung ihres Schutzniveaus nicht zurückbleiben dürften, sondern stelle eine verbindliche Regelung des Verbreitungsrechts auch im Sinne eines Maximalschutzes dar. Diese Auslegung sei auch mit Art. 14 GG vereinbar. Danach habe Z keine gegen § 17 UrhG verstoßende Verbreitung vorgenommen. C stehe kein Unterlassungsanspruch nach § 97 UrhG zu, so dass die Klage abgewiesen wurde.

C erhob formell ordnungsgemäß Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht und rügt, das Urteil des BGH verletze ihr Eigentumsgrundrecht. Der BGH habe trotz der EuGH-Entscheidung einen Spielraum gehabt, den er zu ihren Gunsten hätte nutzen müssen. Ferner hätte auch in ihrem Verfahren der EuGH angerufen werden müssen, was sie dem BGH durch Vorlage eines Gutachtens über die Notwendigkeit eines erneuten Vorlagebeschlusses vorgetragen habe. Hat die VfB Erfolg ?

Vorbemerkung: Soweit in diesem Fall Art. 14 GG zu prüfen ist, stehen mehrere Probleme einer einfachen Grundrechtsprüfung nach Schutzbereich und Schranken entgegen. Es sind dies:
(1) Der Beschwerdeführerin als ausländischer juristischer Person könnte das Grundrecht des Art. 14 wegen Art. 19 III nicht zustehen.
(2) Ausgangsfall ist ein privatrechtlicher Streit; gegenüber Privatpersonen gelten die Grundrechte grundsätzlich nicht.
(3) Die VfB richtet sich gegen ein Urteil; bei Urteilsverfassungsbeschwerden ist der Prüfungsumfang des BVerfG beschränkt.
(4) Letztlich beruht die Entscheidung des BGH auf EU-Recht; das BVerfG ist grundsätzlich nicht zur Entscheidung über EU-Recht zuständig.
(5) Zu klären ist, inwieweit EU-Recht auf die Auslegung und Anwendung des UrhG und des Art. 14 GG einwirkt.
Vor der Behandlung dieser Probleme muss jeweils entschieden werden, wie sie sinnvoll auf die Zulässigkeits- und die Begründetheitsprüfung der VfB verteilt werden.

A. Zulässigkeit der VfB

I. Eine VfB muss sich gegen einen Hoheitsakt als Beschwerdegegenstand richten (§ 90 I BVerfGG).

1. Das Urteil des BGH im Ausgangsstreit C gegen Z ist ein Hoheitsakt. Ein Urteil kann Gegenstand einer VfB sein, die dann als Urteilsverfassungsbeschwerde bezeichnet wird.

2. Die angegriffene Maßnahme muss ein Akt der deutschen Staatsgewalt sein. Das könnte hier mit der Begründung bezweifelt werden, dass das BGH-Urteil letztlich entscheidend auf EU-Recht abstellt und dass dieses von einem EU-Organ und nicht von einem Organ des deutschen Staates stammt. (Das ist das in der Vorbemerkung unter (4) angesprochene Problem, das hier dem BVerfG folgend bereits beim Beschwerdegegenstand behandelt wird.)

a) BVerfG [53]: Zwar übt das BVerfG seine Gerichtsbarkeit über die Anwendbarkeit von Unionsrecht, das als Grundlage für ein Verhalten deutscher Gerichte und Behörden im Hoheitsbereich der Bundesrepublik Deutschland in Anspruch genommen wird, grundsätzlich nicht aus und überprüft dieses Recht nicht am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes, solange die EU, auch durch die Rspr. des EuGH, einen wirksamen Schutz der Grundrechte generell gewährleistet, der dem vom Grundgesetz jeweils als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im Wesentlichen gleich zu achten ist…(vgl. BVerfGE 73, 339 [387];…125, 260 [306]). Dies gilt auch für innerstaatliche Rechtsvorschriften, die zwingende Vorgaben einer Richtlinie in deutsches Recht umsetzen. Verfassungsbeschwerden, die sich gegen die Anwendung unionsrechtlich vollständig determinierter Bestimmungen des nationalen Rechts richten, sind grundsätzlich unzulässig (vgl. BVerfGE 125, 260 [306]).

b) [54]: Diese Grundsätze stehen einer Überprüfung des angegriffenen Urteils jedoch nicht entgegen. Wird wie hier die VfB gegen eine Gerichtsentscheidung darauf gestützt, dass ein Gericht bei der Auslegung nationalen Umsetzungsrechts einen den Mitgliedstaaten verbleibenden Umsetzungsspielraum verkannt habe, beruft sich der Bf. auf eine Verletzung deutscher Grundrechte im Bereich des unionsrechtlich nicht vollständig determinierten Rechts. Insoweit kann er auch geltend machen, das Gericht habe sich zu Unrecht durch Unionsrecht gebunden gesehen. - Auch ein Vorlagebeschluss nach Art. 100 GG gegen ein Gesetz, das EU-Recht umsetzt, ist nur zulässig, soweit der deutsche Gesetzgeber einen Umsetzungsspielraum hatte (BVerfG NJW 2012, 45).

[52]: Das angegriffene Urteil des BGH ist, auch soweit es Rechtsvorschriften betrifft, die Unionsrecht in deutsches Recht umsetzen, als eine Maßnahme der deutschen öffentlichen Gewalt tauglicher Gegenstand einer VfB im Sinne von § 90 Abs. 1 BVerfGG (vgl. BVerfGE 126, 286 [298 f.]).

II. C als Beschwerdeführerin (Bf.) muss geltend machen, in einem ihrer Grundrechte verletzt zu sein (Beschwerdebefugnis). Dabei kommen nur die Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte des GG in Betracht. Die Grundrechte nach der Europäischen Grundrechte-Charta und die nach der Europäischen Menschenrechtskonvention scheiden trotz des europarechtlichen Bezugs dieses Falles als Prüfungsmaßstab für eine VfB von vornherein aus (vgl. zu den drei Grundrechtskomplexen und den zugehörigen Gerichten BVerfG, EuGH und EMRK Kirchhof NJW 2011, 3681). C beruft sich auf eine Verletzung des Art. 14 GG und, soweit die Nichtvorlage an den EuGH gerügt wird, auf eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richters (Art. 101 I 2 GG).

1. Eine Verletzung eines Grundrechts scheidet allerdings aus, wenn das Grundrecht der Bf. nicht zusteht, diese also nicht beschwerdefähig ist (Einstieg in das in der Vorbemerkung unter (1) angesprochene Problem).

a) Zu Art. 14 GG BVerfG [57]: In seiner bisherigen Rspr. hat das BVerfG die Geltung der materiellen Grundrechte allgemein für ausländische juristische Personen unter Berufung auf den Wortlaut des Art. 19 Abs. 3 GG zwar abgelehnt (…). Neuere Kammerbeschlüsse haben hingegen offen gelassen, ob diese Rspr. auch auf juristische Personen aus Mitgliedstaaten der EU anzuwenden ist (…). Angesichts der unionsrechtlichen Diskriminierungsverbote in ihrer Auslegung durch den EuGH (…) erscheint es jedenfalls möglich, dass die Bf. mit Sitz in Italien Trägerin des Grundrechts auf Eigentum ist.… Diese Möglichkeit der Grundrechtsträgerschaft reicht für die Zulässigkeit der VfB aus.

b) Zu Art. 101 I 2 GG [59]: Die Beschwerdefähigkeit und -befugnis im Hinblick auf die Rüge einer Entziehung des gesetzlichen Richters gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sind gegeben. Dies entspricht ständiger Rspr. des BVerfG, da die Rechte aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG jedem zustehen, gleichgültig ob er eine natürliche oder juristische, eine inländische oder ausländische Person ist (vgl. BVerfGE 12, 6 [8]; 18, 441 [447]; 64, 1 [11]).

C ist somit sowohl im Hinblick auf Art. 14 als auch Art. 101 I 2 beschwerdebefugt.

2. Art. 14 GG könnte deshalb nicht anwendbar sein, weil das BGH-Urteil einen Zivilrechtsstreit betrifft (das ist das in der Vorbemerkung unter (2) angesprochene Problem). Auch in diesem können aber Grundrechte im Wege der sog. mittelbaren Drittwirkung anzuwenden sein. Das hat das BVerfG bereits im Lüth-Urteil BVerfGE 7, 198 entschieden. Im vorliegenden Fall führt es unter [86] aus: Die Zivilgerichte haben bei der Auslegung und Anwendung des Urheberrechts die durch die Eigentumsgarantie gezogenen Grenzen zu beachten und müssen die im Gesetz zum Ausdruck kommende Interessenabwägung in einer Weise nachvollziehen, die den Eigentumsschutz der Urheber ebenso wie etwaige damit konkurrierende Grundrechtspositionen beachtet und unverhältnismäßige Grundrechtsbeschränkungen vermeidet (vgl. BVerfGE 89, 1 [9]). Sind bei der gerichtlichen Auslegung und Anwendung einfachrechtlicher Normen mehrere Deutungen möglich, so verdient diejenige den Vorzug, die den Wertentscheidungen der Verfassung entspricht (vgl. BVerfGE 8, 210 [221]; 88, 145 [166]) und die die Grundrechte der Beteiligten möglichst weitgehend in praktischer Konkordanz zur Geltung bringt. Der Einfluss der Grundrechte auf die Auslegung und Anwendung der zivilrechtlichen Normen ist nicht auf Generalklauseln beschränkt, sondern erstreckt sich auf alle auslegungsfähigen und -bedürftigen Tatbestandsmerkmale der zivilrechtlichen Vorschriften (vgl. BVerfGE 112, 332 [358] m. w. N.). Das Gebot zu einer verfassungskonformen Auslegung mit Hilfe des Art. 14 kann also auch bei der Auslegung und Anwendung des § 17 I UrhG eingreifen.

C hat geltend gemacht, in ihren Grundrechten verletzt zu sein.

III. Es muss der Rechtsweg erschöpft sein (§ 90 II 1 BVerfGG). Das ist der Fall, weil der BGH die letzte Instanz war. Außerdem muss der Subsidiaritätsgrundsatz beachtet werden.

1. BVerfG [61-63]: Der Bf. einer VfB muss, über die bloß formelle Erschöpfung des Rechtswegs hinaus, vor Erhebung der VfB alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreifen, um die geltend gemachte Grundrechtsverletzung in dem unmittelbar mit ihr zusammenhängenden sachnächsten Verfahren zu verhindern oder zu beseitigen (vgl. BVerfGE 112, 50 [60]; st. Rspr.). Die Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens sind allerdings grundsätzlich nicht gehalten, Rechtsausführungen zu machen, sofern nicht das einfache Verfahrensrecht rechtliche Darlegungen verlangt. Dementsprechend obliegt es dem Bf. im Ausgangsverfahren einer VfB lediglich, den Sachverhalt so darzulegen, dass eine verfassungsrechtliche Prüfung möglich ist; diese ist dann von den Gerichten vorzunehmen.

Etwas anderes kann in Fällen gelten, in denen bei verständiger Einschätzung der Rechtslage und der jeweiligen verfahrensrechtlichen Situation ein Begehren nur Aussicht auf Erfolg haben kann, wenn verfassungsrechtliche Erwägungen in das fachgerichtliche Verfahren eingeführt werden (vgl. BVerfGE 112, 50 [62])…. Die Beachtung der hieraus folgenden Anforderungen muss der Bf., wenn sie nicht offensichtlich gewahrt sind, in seiner VfB gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG substantiiert darlegen.


2. BVerfG [64-66]: Im Rahmen einer Rüge der Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG erstreckt sich die Obliegenheit des Bf. regelmäßig darauf, durch entsprechende Anträge oder Anregungen an das Fachgericht eine Befassung des gesetzlichen Richters zu erreichen. Handelt es sich beim gesetzlichen Richter um den EuGH, ist ein entsprechender Antrag der Beteiligten auf Vorlage allerdings nicht vorgesehen, vielmehr ist ein letztinstanzliches nationales Gericht unter den Voraussetzungen des Art. 267 Abs. 3 AEUV von Amts wegen gehalten, den EuGH anzurufen… Es genügt daher dem Grundsatz der Subsidiarität, wenn das Vorbringen bei rechtlicher Prüfung durch das Fachgericht eine Vorlage an den EuGH als naheliegend erscheinen lässt.

Danach hat die Bf. die Rüge eines Entzugs des gesetzlichen Richters zulässig erhoben. Sie hat dem BGH ein Gutachten…vorgelegt. Das Gutachten gab dem BGH hinreichenden Anlass, die Notwendigkeit eines Vorabentscheidungsverfahrens selbst zu klären.

IV. Da die VfB auch formell ordnungsgemäß erhoben wurde, ist sie zulässig.

B. Begründetheit der VfB

I. C könnte durch das BGH-Urteil in ihrem durch Art. 14 GG geschützten Eigentumsrecht verletzt sein.

1. Dann müsste C Grundrechtsträgerin sein, d. h. ihr müsste die Grundrechtsberechtigung im Hinblick auf Art. 14 GG zustehen. Nach dem Wortlaut des Art. 19 III GG ist das nicht der Fall. Zwar ist das Eigentumsgrundrecht seinem Wesen nach auch auf juristische Personen anwendbar, da diese Eigentümer sein können. Jedoch ist C keine inländische juristische Person, sondern hat ihren Sitz in Italien. Fraglich und vom BVerfG zu überprüfen war aber, ob diese Rechtslage für juristische Personen mit Sitz in einem EU-Mitgliedstaat (für „europäische juristische Personen“) aufrechterhalten bleiben kann (Problem (1) i. S. der Vorbemerkung).

a) Durch eine Auslegung lässt sich das Problem nicht lösen. BVerfG [72]: Es würde die Wortlautgrenze übersteigen, wollte man seine unionsrechtskonforme Auslegung auf eine Deutung des Merkmals „inländische“ als „deutsche einschließlich europäische“ juristische Personen stützen. Auch wenn das Territorium der Mitgliedstaaten der EU angesichts des ihren Bürgern gewährleisteten Raumes „der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ohne Binnengrenzen“ mit freiem Personenverkehr (Art. 3 Abs. 2 EUV) nicht mehr „Ausland“ im klassischen Sinne sein mag, wird es dadurch nicht zum „Inland“ im Sinne der territorialen Gebietshoheit (vgl. BVerfGE 123, 267 [402 f.]).

Das BVerfG [75] nimmt aber eine Anwendungserweiterung des Art. 19 III GG vor und fasst dessen Begründung einleitend zusammen: Die Anwendungserweiterung des Grundrechtsschutzes auf juristische Personen aus der EU entspricht den durch die europäischen Verträge übernommenen vertraglichen Verpflichtungen, wie sie insbesondere in den europäischen Grundfreiheiten und - subsidiär - dem allgemeinen Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV zum Ausdruck kommen. Die Grundfreiheiten und das allgemeine Diskriminierungsverbot stehen im Anwendungsbereich des Unionsrechts einer Ungleichbehandlung in- und ausländischer Unternehmen aus der EU entgegen und drängen insoweit die in Art. 19 Abs. 3 GG vorgesehene Beschränkung der Grundrechtserstreckung auf inländische juristische Personen zurück. Auch entspricht die Anwendungserweiterung dem Anwendungsvorrang des EU-Rechts im Verhältnis zum nationalen deutschen Recht (vgl. BVerfGE 126, 286 [301 f.]). Zur weiteren Begründung:

aa) BVerfG [76]: Das in Art. 18 AEUV enthaltene Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit…ist ein Grundprinzip des Unionsrechts… Es gehört zum Kernbestand der Unionsbürgerschaft und ist unmittelbar vor mitgliedstaatlichen Gerichten anwendbar; es begünstigt neben natürlichen auch juristische Personen (…). Das allgemeine und die speziellen Diskriminierungsverbote verpflichten die Mitgliedstaaten und alle ihre Organe und Stellen, juristische Personen aus einem anderen EU-Mitgliedstaat auch im Hinblick auf den zu erlangenden Rechtsschutz Inländern gleichzustellen. Dieser Verpflichtung kommt die Bundesrepublik Deutschland durch die Anwendungserweiterung der Art. 19 III GG nach. - Die Rechtsfigur der Anwendungserweiterung lässt sich aus dem Anwendungsvorrang des EU-Rechts herleiten: Art. 19 III GG lässt sich auch in folgende Form bringen: Juristischen Personen stehen Grundrechte zu, soweit…, ausgenommen ausländische. Der letzte, einschränkende Satzteil verstößt bei jur. Personen aus der EU gegen Art. 18 AEUV und wird deshalb auf diese nicht angewendet, was im Hinblick auf den ganzen Art. 19 III zu einer Anwendungserweiterung führt.

bb) [77]: Eine Anwendungserweiterung erübrigt sich nicht etwa deshalb, weil ein gleichwertiger Schutz der Bf. anderweitig gesichert wäre. Zwar können sich juristische Personen mit Sitz in einem anderen EU-Mitgliedstaat in fachgerichtlichen Verfahren ohnehin auf die unmittelbare Geltung des primären Unionsrechts stützen und bleiben somit auch ohne Berufung auf die deutschen Grundrechte nicht ohne Rechtsschutz. Für einen gleichwertigen Schutz im Anwendungsbereich der unionsrechtlichen Diskriminierungsverbote reicht es jedoch nicht aus, wenn ausländische juristische Personen zwar im fachgerichtlichen Verfahren auf eine materielle Gleichstellung mit inländischen juristischen Personen hinwirken, ihre Rechte aber gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG mangels Grundrechtsträgerschaft nicht auch mit Hilfe des BVerfG durchsetzen können.

b) [78]: Ein Eingreifen der aus den Grundfreiheiten und Art. 18 AEUV abgeleiteten unionsrechtlichen Diskriminierungsverbote setzt voraus, dass die betroffenen juristischen Personen aus der EU im Anwendungsbereich des Unionsrechts tätig werden….,.was insbesondere dann der Fall ist, wenn die juristische Person bei der Verwirklichung der Grundfreiheiten des Vertrags oder dem Vollzug anderen Unionsrechts tätig wird.. Die Tätigkeit der Bf., die sich unter anderem auf unionsrechtlich (teil-)harmonisiertes Urheberrecht beruft, welches durch wirtschaftliche Aktivitäten in Deutschland verletzt worden sein soll, fällt in den Anwendungsbereich der Verträge in diesem Sinne (vgl. EuGH Slg. 1993, I-5145, Phil Collins, Rn. 22, 27…).

c) [82]: Die dem BVerfG aufgegebene Kontrolle des europäischen Rechts auf Erhaltung der Identität der nationalen Verfassung, auf Einhaltung der nach dem System der begrenzten Einzelermächtigung überlassenen Kompetenzen und der Gewährleistung eines im Wesentlichen dem deutschen Grundrechtsschutz gleichkommenden Schutzniveaus bleibt erhalten. Die Identität der Verfassung (vgl. BVerfGE…126, 286 [302 f.]) wird durch die Erweiterung der Anwendung des Art. 19 Abs. 3 GG offensichtlich nicht berührt.

d) [80]: Einer Vorlage an den EuGH durch das BVerfG bedarf es nicht. Die nationalen Gerichte sind selbst dazu befugt, eine unionsrechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts vorzunehmen. Die richtige Auslegung der unionsrechtlichen Diskriminierungsverbote ist hier so offenkundig, dass keinerlei Raum für vernünftige Zweifel bleibt („acte clair“; vgl. EuGH Slg. 1982, S. 3415, Rn. 16).

Somit gilt für den vorliegenden Fall, BVerfG [68]: Die Bf. als juristische Person mit Sitz in Italien ist Trägerin von Grundrechten des Grundgesetzes. Ihr steht insbesondere das Grundrecht aus Art. 14 zu.

2. Für eine Verletzung des Art. 14 müsste ein Eingriff in den Schutzbereich dieses Grundrechts erfolgt sein.

a) C steht mit dem Urheberrecht ein vermögenswertes, als Eigentum i. S. des Art. 14 einzuordnendes Recht zu.

aa) BVerfG [84]: Das in §§ 17, 96 UrhG gesetzlich ausgestaltete Recht des Urhebers, die Verbreitung von Vervielfältigungsstücken seines Werks zu kontrollieren, stellt Eigentum im Sinne von Art. 14 Abs. 1 GG dar. Nach diesen Vorschriften kommen auch Urheber angewandter Kunst in den Genuss dieses Rechts, soweit das Design die erforderliche Gestaltungshöhe besitzt. Dies ist hier unstreitig der Fall.

bb) [58]: Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass die Bf. nicht selbst Urheberin der Möbelmodelle ist, sondern mit den Rechtsnachfolgern von Le Corbusier Exklusivverträge über die Herstellung und Vermarktung der Möbelmodelle Le Corbusiers geschlossen hat. Die Bf. ist dadurch in deren durch Art. 14 Abs. 1 GG gewährleistete Schutzrechte des geistigen Eigentums eingerückt (…). Demgegenüber handelt es sich nicht um den Fall einer grundsätzlich unzulässigen Prozessstandschaft, bei der fremde Rechte im eigenen Namen geltend gemacht werden…

 

b) Es müsste ein Eingriff in das Urheberrecht erfolgt sein. Das BGH-Urteil nimmt dem Urheber die Möglichkeit, gegen die Verwendung von Nachbildungen des geschützten Werkes vorzugehen, die nicht mit einer Übereignung verbunden sind. Es entzieht damit dem Urheber die Möglichkeit, solche Verwertungsformen selbst zu nutzen und Lizenzverträge gegen Entgelt abzuschließen. Die enge Auslegung des § 17 I UrhG erweist sich auch deshalb als Eingriff, weil nach der Rspr. des BGH vor der Entscheidung des EuGH ein weiterer Begriff der Verbreitung galt und dieser auch die vorübergehenden Überlassung einer Nachbildung umfasste (BVerfG [] 27; vgl. auch [] 42, 43). Durch die Einengung wurden dem Urheber somit Nutzungsmöglichkeiten entzogen, was sich als Eingriff darstellt.

3. Der Eingriff könnte gerechtfertigt sein.

a) Welche Voraussetzungen hierfür gelten, hängt von der Art des Eingriffs ab. Eine Enteignung i. S. des Art. 14 III GG setzt den Entzug des Eigentums voraus. Durch das BGH-Urteil wird nicht das Urheberrecht, sondern nur eine Nutzungsmöglichkeit entzogen, also liegt keine Enteignung vor. Der Eingriff beruht vielmehr auf der Anwendung des § 17 I UrhG, einer gesetzlichen Vorschrift, die Inhalt und Schranken des Urheberrechts i. S. des Art. 14 I 2 GG regelt.

Zu diesem Gesetzesvorbehalt BVerfG [85]: Im Einzelnen ist es Sache des Gesetzgebers, im Rahmen der inhaltlichen Ausgestaltung des Urheberrechts nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG sachgerechte Maßstäbe festzulegen, die eine der Natur und der sozialen Bedeutung des Rechts entsprechende Nutzung und angemessene Verwertung sicherstellen (…). Dabei hat der Gesetzgeber einen verhältnismäßig weiten Gestaltungsraum (vgl. BVerfGE 21, 73 [83]; 79, 1 [25]; 79, 29 [40]). Die Eigentumsgarantie gebietet nicht, dem Urheber jede nur denkbare wirtschaftliche Verwertungsmöglichkeit zuzuordnen (vgl. BVerfGE 31, 248 [252]; 31, 275 [287]). § 17 I UrhG hält sich in diesem Rahmen, ist also verfassungsmäßig.

b) Also hängt die Rechtfertigung des Eingriffs davon ab, ob er sich im Rahmen des Gesetzes hält (Eingriff „auf Grund eines Gesetzes“). Infolgedessen ist das BGH-Urteil durch § 17 I UrhG gedeckt, wenn es diese Vorschrift zutreffend angewendet und dabei die - oben A II 3 näher dargelegten - verfassungsrechtlichen Anforderungen erfüllt hat. Dies prüft das BVerfG bei einer Urteilsverfassungsbeschwerde aber nur auf spezifische Verfassungsverletzungen hin nach (Problem (3) der Vorbemerkung). BVerfG [87,88]: Wie etwa im Mietrecht und im Arbeitsrecht ist es allerdings auch in urheberrechtlichen Streitigkeiten regelmäßig nicht Sache des BVerfG, den Zivilgerichten vorzugeben, wie sie im Ergebnis zu entscheiden haben (vgl. BVerfG GRUR 2011, 223, Rn. 19 m .w. N.). Die Schwelle eines Verstoßes gegen Verfassungsrecht, den das BVerfG zu korrigieren hat, ist vielmehr erst erreicht, wenn die Auslegung der Zivilgerichte Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der Eigentumsgarantie, insbesondere vom Umfang ihres Schutzbereichs, beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind… (vgl. BVerfGE 89, 1 [9 f.]; 95, 28 [37]; 97, 391 [401]; 112, 332 [358 f.]). Ein Grundrechtsverstoß liegt insbesondere dann vor, wenn das Zivilgericht den grundrechtlichen Einfluss überhaupt nicht berücksichtigt oder unzutreffend eingeschätzt hat und die Entscheidung auf der Verkennung des Grundrechtseinflusses beruht (vgl. BVerfGE 97, 391 [401]). Dass der BGH den Einfluss des Art. 14 GG überhaupt nicht berücksichtigt hat, kann nicht festgestellt werden, da er die Vereinbarkeit seiner Auslegung des § 17 I UrhG mit Art. 14 geprüft hat. Der BGH könnte aber den Einfluss des Art. 14 GG unzutreffend eingeschätzt haben.

c) Welchen Einfluss Art. 14 GG auf die Auslegung des § 17 I UrhG hat, hängt davon ab, auf welchem Wege der BGH zu dem von ihm gefundenen Ergebnis gelangt ist.

aa) Er hat das Urheberrecht der C aus europarechtlichen Gründen eingeschränkt, indem er im Wege einer richtlinienkonforme Auslegung § 17 I UrhG den Inhalt gegeben hat, den er nach Auffassung des EuGH nach der UrhRiLi haben soll. Dabei hat er eine Bindung an die Auslegung durch den EuGH angenommen. Grundsätzlich ist eine solche Anwendung der Grundsatzes der europarechts-konformen Auslegung nationalen deutschen Rechts zutreffend (BVerfG [93]) und sogar zwingend, wenn das EU-Recht keinen Spielraum mehr lässt (Problem (5) der Vorbemerkung).

bb) Lässt das EU-Recht allerdings einen Spielraum, muss dieser vom deutschen Gericht genutzt werden, um dem deutschen Grundrecht ein möglichst hohes Gewicht zukommen zu lassen. Das deutsche Grundrecht ist deshalb nach BVerfG [88] verletzt, wenn sich ein Gericht in der Annahme, an vermeintlich zwingendes Unionsrecht gebunden zu sein, an der Berücksichtigung der Grundrechte des Grundgesetzes gehindert sieht. Lässt das Unionsrecht den Mitgliedstaaten einen Umsetzungsspielraum, ist dieser grundgesetzkonform auszufüllen (vgl. BVerfGE 113, 273 [300 ff.]). Die Fachgerichte müssen den Einfluss der Grundrechte bei der Auslegung zivilrechtlicher Vorschriften des nationalen Rechts, die unionsrechtlich nicht oder nicht vollständig determiniert sind, zur Geltung bringen (vgl. BVerfGE 118, 79 [95 ff.]). [89]: Ob ein Umsetzungsspielraum besteht, ist durch Auslegung des dem nationalen Umsetzungsrecht zugrunde liegenden Unionsrechts, insbesondere also der umgesetzten Richtlinien zu ermitteln. Die Auslegung unionsrechtlicher Sekundärrechtsakte obliegt auf nationaler Ebene zuvörderst den Fachgerichten. Diese haben dabei gegebenenfalls die Notwendigkeit eines Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 267 AEUV - auch in Bezug auf den Schutz der Grundrechte - in Betracht zu ziehen.

cc) Die Entscheidung über eine Verletzung des Art. 14 GG im vorliegenden Fall hängt folglich davon ab. ob der BGH eine Bindung an EU-Recht annehmen durfte. Das wird von BVerfG [93] bejaht: Der EuGH hat im Parallelverfahren etwaige Umsetzungsspielräume nicht erwähnt und Erweiterungen des Verbreitungsbegriffs ausdrücklich dem Unionsgesetzgeber vorbehalten…. Der BGH konnte demnach davon ausgehen, dass das Urteil des EuGH ihm keinen Auslegungsspielraum lässt, um im Sinne einer verfassungskonformen Auslegung von § 17 UrhG den in der Richtlinie vorgesehenen Schutz des Verbreitungsrechts zu überschreiten. Damit hat der BGH die Frage des Umsetzungsspielraums aufgeworfen und ohne Verfassungsverstoß unter Beachtung des Unionsrechts und der Rspr. des EuGH beantwortet.

BVerfG [92]: Ein Verstoß des angegriffenen Urteils gegen die Eigentumsfreiheit der Bf. gemäß Art. 14 Abs. 1 GG lässt sich nach diesen Maßstäben nicht feststellen. Die Annahme des BGH, die Urheberrechtsrichtlinie in der Auslegung durch den EuGH lasse keinen Spielraum für die Einbeziehung der bloßen Gebrauchsüberlassung nachgeahmter Möbelstücke in den Schutz des Verbreitungsrechts nach § 17 Abs. 1 UrhG…ist unter diesen Umständen von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Bedeutung und Tragweite der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG sind damit nicht verkannt. Art. 14 GG ist nicht verletzt.

II. C könnte in ihrem Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 I 2 GG) verletzt sein.

1. BVerfG [96]: Der EuGH ist gesetzlicher Richter im Sinne von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Das nationale Gericht ist unter den Voraussetzungen des Art. 267 Abs. 3 AEUV von Amts wegen gehalten, den EuGH anzurufen (vgl. BVerfGE 82, 159 [192 f.]).

2. Dabei überprüft das BVerfG [98] das Verfahren eines deutschen Fachgerichts aber nur daraufhin, ob die Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsregel des Art. 267 Abs. 3 AEUV bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BVerfGE 82, 159 [194 ff.]; 126, 286 [315 ff.]). Ein solcher Verstoß ist im vorliegenden Fall auszuschließen, [] 100: Indem der BGH die von ihm für entscheidungserheblich gehaltenen Fragen im Parallelverfahren dem EuGH vorgelegt hat, hat er Art. 267 Abs. 3 AEUV auch im Streitfall nicht grundsätzlich verkannt… Dem angegriffenen Urteil ist die vertretbare Überzeugung des BGH zu entnehmen, dass Art. 4 Abs. 1 der Urheberrechtsrichtlinie eine vollharmonisierte Regelung des Verbreitungsrechts darstellt und der EuGH die Auslegung des Verbreitungsbegriffs der Richtlinie abschließend und umfassend geklärt hat.

III. Folglich ist auch Art. 101 I 2 nicht verletzt. C wird in keinem Grundrecht verletzt. Die VfB hat keinen Erfolg.


Zusammenfassung