Bearbeiter: Prof. Dieter Schmalz

Verfassungsbeschwerde gegen arbeitsgerichtliche Urteile. Glaubensfreiheit, Art. 4 I, II GG; Schutzbereich und Eingriff. Verfassungsimmanente Schranken; hier: aus Art. 7 I GG. Abwägung zwischen Grundrecht und kollidierendem Verfassungswert; Verhältnismäßigkeit. Art. 3 III 1 GG: Ungleichbehandlung wegen des Glaubens

BVerfG
Beschluss vom 27. 1. 2015 (1 BvR 1181/10) NJW 2015, 1359

Fall
(Kopftuch)

§ 57 Absatz 4 Schulgesetz des Landes L (SchulG) bestimmt:

1 Lehrerinnen und Lehrer dürfen in der Schule keine politischen, religiösen, weltanschaulichen oder ähnliche äußere Bekundungen abgeben, die geeignet sind, die Neutralität des Landes gegenüber Schülerinnen und Schülern sowie Eltern oder den politischen, religiösen oder weltanschaulichen Schulfrieden zu gefährden oder zu stören. 2 Insbesondere ist ein äußeres Verhalten unzulässig, welches bei Schülerinnen und Schülern oder den Eltern den Eindruck hervorrufen kann, dass eine Lehrerin oder ein Lehrer gegen die Menschenwürde, die Gleichberechtigung nach Artikel 3 des Grundgesetzes, die Freiheitsgrundrechte oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung auftritt. 3 Die Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen widerspricht nicht dem Verhaltensgebot nach Satz 1. 4 Das Neutralitätsgebot des Satzes 1 gilt nicht im Religionsunterricht und in den Bekenntnis- und Weltanschauungsschulen.

M ist deutsche Staatsangehörige, türkischer Abstammung und muslimischen Glaubens. Nach Studium und Staatsexamen wurde sie im Land L als Lehrerin im Angestelltenverhältnis eingestellt. Zuletzt erteilte sie muttersprachlichen Unterricht in türkischer Sprache in einer Grundschulklasse, in der ausschließlich muslimische Schüler teilnahmen, die diesen Unterricht freiwillig gewählt hatten. M trägt seit ihrer Jugend ein Kopftuch. Für sie sei das Tragen einer Kopfbedeckung auch in der Schule eine unbedingte religiöse Pflicht und elementarer Bestandteil ihrer am Islam orientierten Lebensweise. Bei ihrer Anstellung und auch später noch wurde das nicht beanstandet, weil damals § 57 IV SchulG noch nicht galt und es auch keine Beschwerden über M gab. Nach Aufnahme dieser Vorschrift in das SchulG teilte ihr die Schulleitung mit, dass das Tragen eines islamischen Kopftuchs in der Schule nicht zulässig sei. Als M dem trotz Abmahnung nicht nachkam, wurde ihr formell fehlerfrei aus verhaltensbedingten Gründen gekündigt. Die dagegen erhobene Klage wurde von den Arbeitsgerichten, letztlich vom Bundesarbeitsgericht abgewiesen. Die Gerichte führten übereinstimmend aus, das Tragen eines Kopftuchs im Unterricht verstoße als religiöse Bekundung gegen § 57 IV 1 SchulG, gegen dessen Verfassungsmäßigkeit keine Bedenken bestünden. Hiergegen hat M formell fehlerfrei Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht erhoben. Hat die VfB Erfolg?

A. Zulässigkeit der VfB

I. Beschwerdegegenstand der VfB muss ein Akt der öffentlichen Gewalt (§ 90 I BVerfGG) sein, besser bezeichnet als Hoheitsakt. Ergangene Hoheitsakte sind im vorliegenden Fall zumindest § 57 SchulG und die arbeitsgerichtlichen Urteile. Betroffen ist M aber von dem Kopftuchverbot und der Kündigung. Welche Maßnahme bei einer mehraktigen Belastung der Hoheitsakt - und später bei der Grundrechtsprüfung der Eingriffsakt - ist, ist nicht von vornherein klar.

1. Ein Gesetz - hier § 57 SchulG - kann unmittelbarer Beschwerdegegenstand nur sein, wenn der Beschwerde führer durch das Gesetz unmittelbar betroffen ist (BVerfG DVBl 2007, 1097). Das ist nicht der Fall, wenn das Gesetz noch des Vollzugs bedarf. § 57 SchulG bedarf noch des Vollzugs und wurde auch im vorliegenden Fall durch die Maßnahmen der Schulverwaltung vollzogen. Also ist § 57 SchulG nicht der anzugreifende Hoheitsakt. Die VfB richtet sich aber mittelbar gegen § 57 SchulG, insofern die Maßnahmen der Schulverwaltung auf die Vorschrift gestützt sind und die Vorschrift als deren Rechtfertigung in Betracht kommt (dieser Situation trägt § 95 III 2 BVerfGG Rechnung).

2. Betroffen ist M von dem Kopftuchverbot der Schulverwaltung und der von ihr ausgesprochenen Kündigung. Diese Maßnahmen werden vom BVerfG im Rahmen der Grundrechtsprüfung als Eingriff betrachtet, [95] Der Eingriff, der mit der Untersagung des Tragens eines islamischen Kopftuchs oder einer anderen Kopf- und Halsbedeckung in Erfüllung eines religiösen Gebots verbunden ist… Jedoch stand M als Angestellte in einem privatrechtlichen Dienstverhältnis zum Land L. Die in diesem Verhältnis ergangenen Maßnahmen sind privatrechtlicher Natur und keine Hoheitsakte, weshalb dagegen auch nicht - wie bei Beamten - der Verwaltungsrechtsweg, sondern der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten zulässig war. Die Maßnahmen der Schulverwaltung sind deshalb ebenfalls keine mit der VfB unmittelbar angreifbaren Hoheitsakte.

3. Also bleiben als Hoheitsakte nur die arbeitsgerichtlichen Urteile.

a) Das BVerfG hat die VfB gegen jedes der drei gegenüber M ergangenen Urteile gerichtet und im Beschlusstenor bei Nr. 4 auf jedes dieser Urteile Bezug genommen. Allerdings dürfte ausreichend sein, das letztlich entscheidende Urteil des BAG anzugreifen. Dieses ist Hoheitsakt i. S. des § 90 I BVerfGG.

b) Die arbeitsgerichtlichen Urteile erhalten ihren Inhalt aber durch die arbeitsrechtlichen Maßnahmen der Schulverwaltung, so dass diese Maßnahmen mit in die VfB einzubeziehen sind. Hoheitsakt ist folglich das das Kopftuchverbot und die Kündigung bestätigende Urteil des BAG. Vgl. BVerfG [1] Die Verfassungsbeschwerden betreffen gerichtliche Entscheidungen über arbeitsrechtliche Sanktionen (Abmahnung und Kündigung)…

II. M muss geltend machen, in einem Grundrecht verletzt zu sein (§ 90 I BVerfGG). M kann sich darauf berufen, dass ihr das Grundrecht der Glaubensfreiheit und des religiösen Bekenntnisses (Art. 4 I, II GG) zusteht und dass sie das Kopftuch in Ausübung dieses Grundrechts trägt. Wenn ihr dieses Verhalten in der Schule untersagt und im weiteren Verlauf ihr deshalb gekündigt wurde und diese Entscheidungen durch das Arbeitsgericht bestätigt wurden, kann darin eine Verletzung dieses Grundrechts liegen. M ist also auch beschwerdebefugt.

III. M muss den Rechtsweg ausgeschöpft haben (§ 90 II 1 BVerfGG). Auch darf die Subsidiarität der VfB ihrer Zulässigkeit nicht entgegen stehen.

1. Da das Urteil des BAG als Beschwerdegegenstand angenommen wird, ist dieses die letztinstanzliche Entscheidung im normalen Rechtsweg, so dass dieser ausgeschöpft ist.

2. Nach dem Prinzip der Subsidiarität der VfB muss der Beschwerdeführer über das Gebot der Rechtswegerschöpfung im engeren Sinn hinaus alle prozessualen Möglichkeiten ergreift, die eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung ermöglichen (BVerfGE 95,163,171). Auch muss er bereits im Rechtsweg die seiner Ansicht nach für ihn sprechenden Grundrechtserwägungen vorbringen. Es kann als sicher angenommen werden, dass M sich bei ihrer Klage vor den Arbeitsgerichten auf ihr Grundrecht der Glaubensfreiheit berufen hat. Weitere prozessuale Möglichkeiten zur Durchsetzung ihres Grundrechts hatte M nicht.

IV. Da die Erhebung der VfB formell fehlerfrei erfolgt ist, wurde die Schriftform (§ 23 BVerfGG) gewahrt, das verletzte Grundrecht bezeichnet (§ 92 BVerfGG) und die Monatsfrist nach Zustellung des BAG-Urteils (§ 93 I BVerfGG) eingehalten. Die VfB ist zulässig.

B. Begründetheit der VfB

I. M könnte durch das ihre Kündigungsschutzklage abweisende Urteil des BAG in ihrem Grundrecht auf Freiheit des Glaubens (Art. 4 I, II GG) verletzt sein.

1. Das Grundrecht müsste M zustehen (Grundrechtsberechtigung der M).

a) Art, 4 I, II GG ist ein Menschenrecht und steht jedem Menschen zu, also auch M.

b) Seiner Anwendung steht nicht entgegen, dass M nur als Angestellte, also im Rahmen eines privatrechtlichen Dienstverhältnisses mit dem Land L betroffen ist. BVerfG [84] Der Staat bleibt auch dann an die Grundrechte gebunden, wenn er sich zur Aufgabenerfüllung zivilrechtlicher Instrumente bedient, wie das hier durch den Abschluss eines privatrechtlichen Arbeitsvertrages mit der zur Erfüllung seines Erziehungsauftrags von ihm angestellten Pädagogin der Fall ist (Art. 1 Abs. 3 GG; vgl. BVerfGE 128, 226, 245). Das Grundrecht des Art. 4 GG ist also direkt anwendbar und nicht, wie sonst im Privatrecht, nur im Wege mittelbarer Drittwirkung.

c) Dass M in einem Sonderrechtsverhältnis zum Staat steht, führt ebenfalls nicht zu einem Anwendungsausschluss des Grundrechts. BVerfG [84] Die Beschwerdeführerin kann sich auch als Angestellte im öffentlichen Dienst auf ihr Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG berufen (ebenso für Beamte BVerfGE 108, 282, 297 f.). Die Grundrechtsberechtigung der Beschwerdeführerin wird durch ihre Eingliederung in den staatlichen Aufgabenbereich der Schule nicht von vornherein oder grundsätzlich in Frage gestellt.

2. Die auf den Glauben bezogenen Textteile des Art. 4 GG sind auf mehrere Begriffe und auf zwei Absätze verteilt. Da diese sich jedoch kaum unterscheiden lassen, werden sie zu einem einheitlichen Grundrecht der Glaubensfreiheit nach Art. 4 I, II GG zusammengefasst; dieses umfasst auch die Bekenntnisfreiheit und die freie Religionsausübung; als negative Glaubensfreiheit schützt es auch, keinen Glauben zu haben. BVerfG [85, 86]

a) Art. 4 GG garantiert in Absatz 1 die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses, in Absatz 2 das Recht der ungestörten Religionsausübung. Beide Absätze des Art. 4 GG enthalten ein umfassend zu verstehendes einheitliches Grundrecht (vgl. BVerfGE 24, 236, 245 f.; 125, 39, 79… ). Es erstreckt sich nicht nur auf die innere Freiheit, zu glauben oder nicht zu glauben, das heißt einen Glauben zu haben, zu verschweigen, sich vom bisherigen Glauben loszusagen und einem anderen Glauben zuzuwenden, sondern auch auf die äußere Freiheit, den Glauben zu bekunden und zu verbreiten, für seinen Glauben zu werben und andere von ihrem Glauben abzuwerben (vgl. BVerfGE 12, 1, 4; 24, 236, 245; 105, 279, 294; 123, 148, 177). Umfasst sind damit nicht allein kultische Handlungen und die Ausübung und Beachtung religiöser Gebräuche, sondern auch die religiöse Erziehung sowie andere Äußerungsformen des religiösen und weltanschaulichen Lebens (…). Dazu gehört auch das Recht der Einzelnen, ihr gesamtes Verhalten an den Lehren ihres Glaubens auszurichten und dieser Überzeugung gemäß zu handeln, also glaubensgeleitet zu leben… (vgl. BVerfGE 108, 282, 297 m. w .N.).

b) Bei der Würdigung dessen, was im Einzelfall als Ausübung von Religion und Weltanschauung zu betrachten ist, darf das Selbstverständnis der jeweils betroffenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und des einzelnen Grundrechtsträgers nicht außer Betracht bleiben (vgl. BVerfGE 24, 236, 247 f.; 108, 282, 298 f.). Dies bedeutet jedoch nicht, dass jegliches Verhalten einer Person allein nach deren subjektiver Bestimmung als Ausdruck der Glaubensfreiheit angesehen werden muss. Die staatlichen Organe dürfen prüfen und entscheiden, ob hinreichend substantiiert dargelegt ist, dass sich das Verhalten tatsächlich nach geistigem Gehalt und äußerer Erscheinung in plausibler Weise dem Schutzbereich des Art. 4 GG zuordnen lässt, also tatsächlich eine als religiös anzusehende Motivation hat. Dem Staat ist es indes verwehrt, derartige Glaubensüberzeugungen seiner Bürger zu bewerten oder gar als „richtig“ oder „falsch“ zu bezeichnen; dies gilt insbesondere dann, wenn hierzu innerhalb einer Religion divergierende Ansichten vertreten werden (…).

II. Das Verhalten der M müsste vom - vorstehend unter I 2 näher umschriebenen - Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 4 I, II GG erfasst sein.

1. M beruft sich zur Rechtfertigung des Kopftuchtragens auf ihren Glauben als Muslimin. Damit will sie ihre religiösen Pflichten erfüllen und ihr äußeres Auftreten an den Lehren ihres Glaubens ausrichten.


BVerfG [94] Allerdings ist ein Kopftuch nicht aus sich heraus ein religiöses Symbol. Eine vergleichbare Wirkung kann es erst im Zusammenwirken mit anderen Faktoren entfalten (vgl. BVerfGE 108, 282, 304). Insofern unterscheidet es sich vom christlichen Kreuz (vgl. dazu BVerfGE 93, 1, 19 f.). Es wird aber im sozialen Kontext verbreitet als Hinweis auf die muslimische Religionszugehörigkeit der Trägerin gedeutet. In diesem Sinne ist es ein religiös konnotiertes Kleidungsstück. Wird es als äußeres Anzeichen religiöser Identität verstanden, so bewirkt es das Bekenntnis einer religiösen Überzeugung…

2. Dabei kommt es nicht darauf an, ob sich die Pflicht zum Tragen einer Kopfbedeckung zwingend aus dem Koran ergibt. Sie wird jedenfalls von einer großen Zahl der Musliminnen und Muslime auf den Koran Sure 24 Vers 31 und Sure 33 Verse 53 und 59 gestützt und praktiziert. Das ist ausreichend, um davon auszugehen, dass das Verhalten der M glaubensgeleitet ist. Es fällt somit unter den Schutzbereich des Art. 4 I, II GG.

III. Gegenüber M müsste ein Eingriff in die Glaubensfreiheit erfolgt sein.

1. In generell-abstrakter Form untersagt § 57 IV 1 SchulG Lehrerinnen und Lehrern, in der Schule religiöse äußere Bekundungen abzugeben, die geeignet sind, die Neutralität des Landes zu gefährden oder den Schulfrieden zu gefährden. Das Tragen eines Kopftuchs wird als religiöse Bekundung verstanden. Ob es geeignet ist, die Neutralität des Landes oder den Schulfrieden zu gefährden, ist fraglich, ist aber vom BAG in diesem Sinne verstanden worden; andernfalls hätte es die Klage der M nicht abgewiesen. BVerfG [81] Das BAG hat im Ausgangsverfahren…angenommen, das Verhalten der Beschwerdeführerin sei im Sinne von § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW geeignet, die Neutralität des Landes gegenüber Schülern und Eltern sowie den religiösen Schulfrieden zu gefährden. Das Verbot…solle schon einer abstrakten Gefahr vorbeugen, um konkrete Gefährdungen gar nicht erst aufkommen zu lassen. Mindestens bei diesem Verständnis des § 57 IV 1 SchulG enthält diese Vorschrift einen Eingriff in die Glaubensfreiheit der Lehrerinnen, die Muslime sind.

2. Im Fall der M enthalten das auf § 57 IV SchulG gestützte Kopftuchverbot sowie die daraus folgende Kündigung der Sache nach konkrete Eingriffe in die Glaubensfreiheit (vgl. oben A I 2).

3. Letztlich ist aber hoheitlicher Eingriff das das Kopftuchverbot und die Kündigung bestätigende Urteil des BAG (oben A I 3 b).

IV. Der Eingriff könnte gerechtfertigt sein.

1. Eine Rechtfertigung ist nicht über einen Gesetzesvorbehalt möglich, weil ein solcher dem Art. 4 I, II GG nicht beigefügt ist. Vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte unterliegen aber verfassungsimmanenten Schranken. BVerfG [98] Einschränkungen dieses Grundrechts müssen sich aus der Verfassung selbst ergeben, weil Art. 4 Abs. 1 und 2 GG keinen Gesetzesvorbehalt enthält. Zu solchen verfassungsimmanenten Schranken zählen die Grundrechte Dritter sowie Gemeinschaftswerte von Verfassungsrang (vgl. BVerfGE 28, 243, 260 f.; 41, 29, 50 f.;…93, 1, 21; 108, 282, 297). Erforderlich ist, dass die Abwägung zwischen dem Grundrecht und einem kollidierenden Verfassungswert zu dem Ergebnis führt, dass der andere Verfassungswert höherrangig ist. Diese Abwägung ist so wesentlich, dass der Gesetzgeber sie vornehmen und ihr Ergebnis in einem Gesetz zum Ausdruck bringen muss. BVerfG: Das normative Spannungsverhältnis zwischen diesen Verfassungsgütern unter Berücksichtigung des Toleranzgebots zu lösen, obliegt dem demokratischen Gesetzgeber… Dieses Gesetz ist im vorliegenden Fall zunächst § 57 IV 1 SchulG. BVerfG [79] Die Prüfung ist auch auf Satz 2 und Satz 3 des § 57 Abs. 4 SchulG zu erstrecken… Der Regelung liegt ein einheitliches Konzept zugrunde. Dies kommt auch in der sprachlichen Anknüpfung des Satzes 2 an Satz 1 („Insbesondere …“) zum Ausdruck. Der von der Beschwerdeführerin beanstandete Satz 3 knüpft gleichfalls an Satz 1 an und ist in die Prüfung einzubeziehen, weil seine Privilegierung christlicher und jüdischer Religionen der Beschwerdeführerin bei der Anwendung des Satzes 1 gleichheitswidrig nicht zugute kommt.

2. § 57 IV SchulG müsste verfassungsmäßig sein, um den Eingriff zu rechtfertigen. Die Frage, ob ein Kopftuchverbot zulässig ist, wird also auf der Ebene des Gesetzes entschieden und nicht erst bei der Anwendung des Gesetzes im Einzelfall. Das entspricht auch der Absicht des Gesetzgebers, diese Frage im SchulG zu regeln.

In formeller Hinsicht begegnet § 57 IV SchulG keinen Bedenken. Materiell muss das Gesetz den oben 1. wiedergegebenen Voraussetzungen entsprechen.

a) Als kollidierendes Grundrecht Dritter kommt die negative Religionsfreiheit der Schülerinnen und Schüler in Betracht, die nicht Muslime sind. Sie könnten das Recht haben, in der Schule, zu deren Besuch sie verpflichtet sind, nicht mit einem bestimmten religiösen Symbol konfrontiert zu werden. BVerfG [105] Zwar trifft die für das Tragen eines islamischen Kopftuchs in der Schule in Anspruch genommene Glaubensfreiheit der Lehrerin auf die negative Glaubensfreiheit der Schülerinnen und Schüler (vgl. BVerfGE 108, 282, 301 f.). Doch ist das Tragen eines islamischen Kopftuchs…nicht von vornherein dazu angetan, die negative Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Schülerinnen und Schüler zu beeinträchtigen. Solange die Lehrkräfte, die nur ein solches äußeres Erscheinungsbild an den Tag legen, nicht verbal für ihre Position oder für ihren Glauben werben und die Schülerinnen und Schüler über ihr Auftreten hinausgehend zu beeinflussen versuchen, wird deren negative Glaubensfreiheit grundsätzlich nicht beeinträchtigt. Die Schülerinnen und Schüler werden lediglich mit der ausgeübten positiven Glaubensfreiheit der Lehrkräfte in Form einer glaubensgemäßen Bekleidung konfrontiert, was im Übrigen durch das Auftreten anderer Lehrkräfte mit anderem Glauben oder anderer Weltanschauung in aller Regel relativiert und ausgeglichen wird.

Die negative Religionsfreiheit Dritter kann also den Eingriff in die Glaubensfreiheit einer muslimischen Lehrerin nicht rechtfertigen. Gleiches gilt für das elterliche Erziehungsrecht (Art. 6 II GG; dazu BVerfG [106, 107]).

b) Gemeinschaftswert von Verfassungsrang ist der staatliche Erziehungsauftrag (Art. 7 I GG). Der aus Art. 7 I GG abgeleitete umfassende staatliche Bildungs- und Erziehungsauftrag umfasst die Aufrechterhaltung des Schulfriedens (vgl. Beaucamp DÖV 2015, 180 m. Nachw. Fn 90-92). BVerfG [99] Der Schulgesetzgeber verfolgt mit dem Verbot äußerer religiöser Bekundungen im Sinne des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG…legitime Ziele. Sein Anliegen ist es, den Schulfrieden und die staatliche Neutralität zu wahren, so den staatlichen Erziehungsauftrag abzusichern,…und damit Konflikten in dem von ihm in Vorsorge genommenen Bereich der öffentlichen Schule von vornherein vorzubeugen.

3. Somit verfolgt die Regelung des § 57 IV SchulG legitime Ziele und ist für ihre Erreichung geeignet. Sie müsste auch den weiteren Anforderungen der Verhältnismäßigkeit entsprechen.

a) BVerfG [100] Die Erforderlichkeit der Regelung in § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG, die in der Interpretation der Fachgerichte schon die abstrakte Eignung äußerer religiöser Bekundungen durch das Tragen einer religiös konnotierten Kopfbedeckung zur Gefährdung der Schutzgüter genügen lässt, erscheint bereits fraglich. Es bedarf hier indes keiner Entscheidung, ob angesichts des mittlerweile zu verzeichnenden Verbreitungsgrades des islamischen Kopftuchs in der deutschen Gesellschaft und des gängigen Verständnisses von seiner Bedeutung, aber auch in Anbetracht der durchaus unterschiedlichen Deutungsmöglichkeiten der Beweggründe seiner Trägerinnen…ausnahmslos in allen öffentlichen bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschulen und Schüleraltersgruppen schon einer abstrakten Gefahr für die Schutzgüter des Schulfriedens und der staatlichen Neutralität vorgebeugt werden muss. Damit deutet das BVerfG an, dass es die Regelung bereits für nicht erforderlich halten könnte, lässt diese Frage aber letztlich offen und entscheidet den Fall über das Gebot der Angemessenheit.

b) Angemessen (verhältnismäßig i. e. S.) ist das Verbot des § 57 IV 1 SchulG nur, wenn bereits die Verhinderung einer abstrakten Gefahr für den Schulfrieden durch das Tragen eines Kopftuchs höheres Gewicht hat als die Belastung der muslimischen Lehrerinnen durch das Verbot.

aa) BVerfG [95, 96] Der Eingriff, der mit der Untersagung des Tragens eines islamischen Kopftuchs oder einer anderen Kopf- und Halsbedeckung in Erfüllung eines religiösen Gebots verbunden ist, wiegtschwer… Dass auf diese Weise derzeit faktisch vor allem muslimische Frauen von der qualifizierten beruflichen Tätigkeit als Pädagoginnen ferngehalten werden, steht zugleich in einem rechtfertigungsbedürftigen Spannungsverhältnis zum Gebot der tatsächlichen Gleichberechtigung von Frauen (Art. 3 Abs. 2 GG). Vor diesem Hintergrund greift das gesetzliche Bekundungsverbot in ihr Grundrecht auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit trotz seiner zeitlichen und örtlichen Begrenzung auf den schulischen Bereich mit erheblich größerem Gewicht ein, als dies bei einer religiösen Übung ohne plausiblen Verbindlichkeitsanspruch der Fall wäre.

bb) Nach BVerfG kommt der bloß abstrakten Gefahr einer Störung des Schulfriedens kein gegenüber der Glaubensfreiheit höheres Gewicht zu. [112] Vielmehr ist das - nach der Auslegung durch die Arbeitsgerichte in den angefochtenen Entscheidungen - an eine bloß abstrakte Gefährdung der in § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG genannten Schutzgüter anknüpfende strikte und landesweite Verbot einer äußeren religiösen Bekundung jedenfalls für die hier gegebenen Fallkonstellationen den betroffenen Grundrechtsträgerinnen nicht zumutbar und verdrängt in unangemessener Weise deren Grundrecht auf Glaubensfreiheit. Denn mit dem Tragen eines Kopftuchs durch einzelne Pädagoginnen ist - anders als dies beim staatlich verantworteten Kruzifix im Schulzimmer der Fall ist (vgl. BVerfGE 93, 1, 15 ff.) - keine Identifizierung des Staates mit einem bestimmten Glauben verbunden. Auch eine Wertung in dem Sinne, dass das glaubensgeleitete Verhalten der Pädagoginnen schulseits als vorbildhaft angesehen und schon deshalb der Schulfrieden oder die staatliche Neutralität gefährdet oder gestört werden könnte, ist einer entsprechenden Duldung durch den Dienstherrn nicht beizulegen. Hinzu kommt, dass die Beschwerdeführerin einem nachvollziehbar als verpflichtend empfundenen Glaubensgebot Folge leistet. Dadurch erhält ihre Glaubensfreiheit in der Abwägung…ein erheblich größeres Gewicht als dies bei einer disponiblen Glaubensregel der Fall wäre.

4. Somit ist § 57 IV SchulG in der Auslegung des BAG unverhältnismäßig und verletzt Art. 4 I, II GG. Das BVerfG hat § 57 IV 1, 2 SchulG aber nicht für nichtig erklärt, sondern verfassungskonform einschränkend dahin ausgelegt, dass eine konkrete Störung für ein Verbot erforderlich ist.

a) [113] Anders verhält es sich dann, wenn das äußere Erscheinungsbild von Lehrkräften zu einer hinreichend konkreten Gefährdung oder Störung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität führt oder wesentlich dazu beiträgt. Dies wäre etwa in einer Situation denkbar, in der - insbesondere von älteren Schülern oder Eltern - über die Frage des richtigen religiösen Verhaltens sehr kontroverse Positionen mit Nachdruck vertreten und in einer Weise in die Schule hineingetragen würden, welche die schulischen Abläufe und die Erfüllung des staatlichen Erziehungsauftrags ernsthaft beeinträchtigte, sofern die Sichtbarkeit religiöser Überzeugungen und Bekleidungspraktiken diesen Konflikt erzeugte oder schürte. Bei Vorliegen einer solchermaßen begründeten hinreichend konkreten Gefahr ist es den grundrechtsberechtigten Pädagoginnen und Pädagogen…zumutbar, von der Befolgung eines als verpflichtend empfundenen religiösen Bedeckungsgebots Abstand zu nehmen, um eine geordnete, insbesondere die Grundrechte der Schüler und Eltern sowie das staatliche Neutralitätsgebot wahrende Erfüllung des staatlichen Erziehungsauftrags sicherzustellen.

b) [117] Eine einschränkende Auslegung des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG ist möglich und von Verfassungs wegen geboten. Sie dient der Vermeidung einer Normverwerfung und ist damit dem Gesichtspunkt der größtmöglichen Schonung der Gesetzgebung geschuldet… Der einschränkenden Auslegung steht nicht entgegen, dass dem Gesetzgeber entstehungsgeschichtlich ein Kopftuchverbot als typischer Anwendungsfall der Vorschrift vorgeschwebt hat. Der Norm wird lediglich ein weniger weit reichender Anwendungsbereich zuerkannt.

[101] Folglich fordert ein angemessener, der Glaubensfreiheit der sich auf ein religiöses Bedeckungsgebot berufenden Pädagoginnen hinreichend Rechnung tragender Ausgleich mit gegenläufigen verfassungsrechtlich verankerten Positionen für die vorliegende Fallgestaltung eine einschränkende Auslegung der Verbotsnorm dergestalt, dass zumindest eine hinreichend konkrete Gefahr für die Schutzgüter vorliegen muss.

5. Dem so ausgelegten § 57 IV 1, 2 SchulG widerspricht das Urteil des BAG. Im Fall der M bestand keine konkrete Gefahr für den Schulfrieden. Dieser Rechtsanwendungsfehler des BAG war kein einfacher Gesetzesverstoß, sondern ein - vom BVerfG in einer Urteilsverfassungsbeschwerde als relevant zu behandelnder - verfassungsspezifischer Verstoß (vgl. dazu BVerfG NJW 2014, 2019 [26]), weil er gerade in der Verkennung der Einwirkung des Art. 4 GG auf § 57 IV SchulG besteht. Somit ist der durch das Urteil des BAG erfolgte Grundrechtseingriff nicht gerechtfertigt. Das BAG-Urteil verletzt M in ihrem Grundrecht aus Art. 4 I, II GG.

V. M könnte weiterhin in ihrem Grundrecht aus Art. 3 III 1 GG verletzt sein. BVerfG [125] Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG verlangt, dass niemand wegen seines Glaubens oder seiner religiösen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt wird. Die Norm verstärkt den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG und die durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschützte Glaubensfreiheit. [126] Nach Art. 33 Abs. 3 Satz 2 GG darf keinem Träger eines öffentlichen Amtes aus seiner Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem Bekenntnis oder einer Weltanschauung ein Nachteil erwachsen. Der Begriff des öffentlichen Amtes in Art. 33 Abs. 3 GG ist im selben Sinne zu verstehen, wie er auch in Art. 33 Abs. 2 GG verwendet wird; er erfasst mithin auch Angestellte des öffentlichen Dienstes (…).

Eine dagegen verstoßende Benachteiligung könnte § 57 IV Satz 3 SchulG enthalten, der mit zu überprüfen ist (oben B IV 1) und der sich auf das BAG-Urteil ausgewirkt haben kann (BVerfG [123]).

1. BVerfG [124] § 57 Abs. 4 Satz 3 SchulG führt zu einer Benachteiligung anderer als christlicher und jüdischer Religionsangehörige….

2. [129] Tragfähige Gründe für eine Benachteiligung äußerer religiöser Bekundungen, die sich nicht auf christlich-abendländische Kulturwerte und Traditionen zurückführen lassen, sind nicht erkennbar. Soweit von einem bestimmten äußeren Verhalten etwa eine besondere indoktrinierende Suggestivkraft ausgehen kann, wird dem ohne Weiteres durch das Verbot des Satzes 1 des § 57 Abs. 4 SchulG in der von Verfassungs wegen gebotenen einschränkenden Auslegung Rechnung getragen… [130] Ebenso wenig ergeben sich für eine Bevorzugung christlich und jüdisch verankerter religiöser Bekundungen tragfähige Rechtfertigungsmöglichkeiten. Die Wahrnehmung des Erziehungsauftrags, wie er in Art. 7 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 3 der Verfassung des Landes umschrieben ist, rechtfertigt es nicht, Amtsträger einer bestimmten Religionszugehörigkeit bei der Statuierung von Dienstpflichten zu bevorzugen… Zudem wird das landesverfassungsrechtliche Erziehungsziel in Art. 7 Abs. 1 Verf („Ehrfurcht vor Gott“) nach wohl überwiegender Auffassung nicht nur auf den christlichen Glauben bezogen; es soll offen sein für ein persönliches Gottesverständnis, also nicht nur das christliche, sondern auch das islamische Gottesverständnis ebenso umfassen wie polytheistische oder unpersönliche Gottesvorstellungen (folgen Nachw.).

3. Folglich verstößt § 57 IV 3 SchulG gegen Art. 3 III GG. Das BAG hatte die Nichtigkeitsfolge durch eine verfassungskonforme Auslegung vermeiden wollen (vgl. BVerfG [133-136]). Das würde aber gegen den klaren vom Gesetzgeber gewollten Regelungsgehalt des § 57 III 3 verstoßen. BVerfG [132] Die verfassungskonforme Auslegung findet ihre Grenze dort, wo sie zum Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde. Der Respekt vor dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber verbietet es, im Wege der Auslegung einem nach Sinn und Wortlaut eindeutigen Gesetz einen entgegengesetzten Sinn beizulegen oder den normativen Gehalt einer Vorschrift grundlegend neu zu bestimmen… (Zu den Grenzen einer verfassungskonformen Auslegung, insbesondere in Abgrenzung zu Art. 100 GG, BVerfG DÖV 2015, 430; dazu Berkemann DÖV 2015, 393, 398.) § 57 IV 3 bevorzugt eindeutig und in nicht auslegungsfähiger Weise christliche und jüdische Darstellungen und benachteiligt Darstellungen anderer Glaubensrichtungen. Die Vorschrift ist somit nichtig. Ihre Anwendung verletzt M in ihrem Grundrecht aus Art. 3 III GG.

VI. BVerfG [141] Andere Grundrechte gewährleisten keinen weitergehenden Schutz als er aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG sowie aus Art. 3 Abs. 3 Satz 1 und Art. 33 Abs. 3 GG folgt. Selbst unter der Annahme, dass im Einzelfall die Freiheit der Berufswahl (Art. 12 Abs. 1 GG) betroffen wäre, wenn ein als verpflichtend empfundenes religiöses Gebot in Frage steht, wären die vom Landesgesetzgeber verfolgten Ziele mittels einer auf eine hinreichend konkrete Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität begrenzten Untersagungsnorm besonders gewichtige Gemeinschaftsbelange, die die Regelung rechtfertigen (vgl. BVerfGE 119, 59, 83).

C. Ergebnis: Die VfB der M ist wegen Verletzung der Art. 4 I, II, 3 III 1 GG begründet. Der Tenor des BVerfG-Beschlusses lautet in den wesentlichen Teilen:


1. § 57 IV 3 SchulG NRW ist mit Art. 3 III 1 und mit Art. 33 III GG unvereinbar und nichtig.

2. § 57 IV 1 und 2 SchulG sind, soweit sie religiöse Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild betreffen, nach Maßgabe der Gründe mit dem Grundgesetz vereinbar.

3. Die Beschwerdeführerin wird durch das angefochtene Urteil des BAG in ihrem Grundrecht aus Art.  4 I und II GG verletzt. Die Urteile des Bundesarbeitsgerichts und des Landesarbeitsgerichts werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Der Beschluss ist mit 6:2 Stimmen ergangen. Ihm ist eine ausführliche abweichende Meinung zweier Richter beigefügt.- Besprochen wird der Beschluss des BVerfG von Traub NJW 2015, 1338; Sachs JuS 2015, 571; Muckel JA 2015, 476. Einen Überblick zum Problemkreis „Schule und Religion“ geben Büscher/Glasmacher JuS 2015, 513.- EGMR NJW 2014, 2925 (mit Anm. S. 2935) hat das in Frankreich geltende Verbot der Vollverschleierung nicht als Verstoß gegen die EMRK angesehen und für zulässig erachtet.

Zusammenfassung