Bearbeiter: Prof. Dieter Schmalz

Feststellungsklage, § 43 VwGO. Glaubensfreiheit, Art. 4 I, II GG, positive und negative. Einschränkbarkeit vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte (durch verfassungsimmanente Schranken). Schulfrieden als Verfassungswert

BVerwG
Urteil vom 30. 11. 2011 (6 C 20/10) NVwZ 2012, 162

Fall
(Islamisches Gebet in der Schule)

Der 17jährige M ist muslimischen Glaubens. Er besucht das staatliche G.-Gymnasium in einer im Lande L gelegenen Großstadt. In der Pause zwischen zwei Unterrichtsstunden verrichtete er zusammen mit Mitschülern auf einem Flur des Schulgebäudes das Gebet nach islamischem Ritus. Die Schüler knieten dabei auf ihren Jacken, vollzogen die nach islamischem Ritus erforderlichen Körperbewegungen und deklamierten den vorgegebenen Text. Das Gebet dauerte etwa zehn Minuten. Andere Schüler und Lehrer sahen teilweise zu, die meisten wichen auf ihrem Weg durch den Flur den Betenden aus. Am folgenden Tag wies die Leiterin L der Schule die Schüler, die an dem Gebet beteiligt waren, darauf hin, die Verrichtung eines Gebets auf dem Schulgelände werde nicht geduldet. Mit Schreiben vom selben Tag teilte sie den Eltern des M mit, an der Schule seien religiöse Bekundungen nicht erlaubt; zu ihnen gehörten insbesondere Gebete.

M will das nicht hinnehmen und beruft sich auf das Recht zur freien Religionsausübung. Die Schule und das Land L machen geltend, das Verhalten des M verstoße gegen die negative Religionsfreiheit der anderen Schüler und der Lehrerschaft und gefährde den Schulfrieden. Sie stützen sich dabei auf die - zutreffenden - Feststellungen, dass an dem G.-Gymnasium unter den Schülern eine Vielzahl von Religionen und Glaubensrichtungen vertreten ist. Aufgrund dessen sind unter den Schülern heftige Konflikte ausgetragen worden, die von Vorwürfen gegen Mitschüler ausgingen, diese seien nicht den Verhaltensregeln des Korans gefolgt, wie beispielsweise dem Gebot, ein Kopftuch zu tragen, Fastenvorschriften einzuhalten, Gebete abzuhalten, kein Schweinefleisch zu verzehren, „unsittliches Verhalten“ und „unsittliche Kleidung“ zu vermeiden. Aus derartigen Anlässen ist es zu Mobbing, Beleidigungen und sexistischen Diskriminierungen gekommen. Hieraus hat die Schulverwaltung den Schluss gezogen, die bestehende Konfliktlage würde sich verschärfen, wenn die Ausübung religiöser Riten auf dem Schulgelände gestattet wäre und deutlich an Präsenz gewönne.

M beabsichtigt, anwaltlich vertreten, verwaltungsgerichtliche Klage gegen das Land L zu erheben und die Feststellung zu beantragen, dass er berechtigt ist, in der von ihm besuchten Schule außerhalb der Unterrichtszeit ein islamisches Gebet zu verrichten. Hat die Klage Aussicht auf Erfolg ?

§ 48 des Schulgesetzes für das Land L ist überschrieben mit „Rechte und Pflichten der Schülerinnen und Schüler“ und bestimmt in Absatz 2 Satz 3: „Die Schülerinnen und Schüler sind an die Vorgaben gebunden, die dazu bestimmt sind, das Bildungs- und Erziehungsziel der Schule zu erreichen sowie das Zusammenleben und die Ordnung in der Schule aufrechtzuerhalten.“

A. Zulässigkeit einer verwaltungsgerichtlichen Klage

I. Die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs folgt aus § 40 I VwGO, da eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art vorliegt. Die streitentscheidenden Normen ergeben sich aus dem Schulrecht und den Grundrechten, also aus dem öffentlichen Recht. Da ein Bürger ein Recht gegenüber der Verwaltung geltend macht, ist die Streitigkeit auch nichtverfassungsrechtlicher Art; die Anwendbarkeit von Grundrechten reicht für die Annahme einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit nicht aus.

II. Als Klageart kommt eine Feststellungsklage nach § 43 VwGO in Betracht.

1. M könnte die Feststellung des Bestehens eines streitigen Rechtsverhältnisses begehren.

a) BVerwG [12]: Unter einem feststellungsfähigen Rechtsverhältnis sind die rechtlichen Beziehungen zu verstehen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Norm für das Verhältnis von (natürlichen oder juristischen) Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben, kraft deren eine der beteiligten Personen etwas Bestimmtes tun muss, kann oder darf oder nicht zu tun braucht. Rechtliche Beziehungen haben sich nur dann zu einem Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO verdichtet, wenn die Anwendung einer bestimmten Norm des öffentlichen Rechts auf einen bereits übersehbaren Sachverhalt streitig ist (BVerwGE 100, 262 [264 f.]).

b) Der Streit der Beteiligten betrifft die Bedeutung und Tragweite des Art. 4 Abs. 1 GG, einer Vorschrift des öffentlichen Rechts, und dessen Anwendung auf einen konkreten Sachverhalt, nämlich den Vorgang, dass der Kläger zusammen mit Mitschülern auf dem Flur des Schulgebäudes in einer Pause das rituelle islamische Gebet verrichtete. Der Kläger berühmt sich des Rechts, in dieser Weise auch künftig vorgehen zu dürfen. Die Schulverwaltung bestreitet das Bestehen eines solchen Rechts.

2. BVerwG [13]: Der Kläger hat ein berechtigtes Interesse an der erstrebten Feststellung. Nachdem die Schulleiterin ihn und seine Eltern darauf hingewiesen hat, religiöse Bekundungen wie Gebete seien in der Schule nicht erlaubt, muss er mit Sanktionen in der Gestalt von Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen rechnen, wenn er das von ihm als erlaubt angesehene Verhalten fortsetzt. Ihm ist nicht zuzumuten, solche Sanktionen abzuwarten und erst im Zusammenhang mit ihnen die streitige Rechtsfrage gerichtlich klären zu lassen.

3. Nach dem Grundsatz der Subsidiarität der Feststellungsklage (§ 43 II VwGO) wäre diese nicht zulässig, wenn M eine Anfechtungsklage (§ 42 I VwGO) erheben könnte. Jedoch ist weder M noch seinen Eltern gegenüber ein Verwaltungsakt ergangen. BVerwG [14]: Vielmehr enthielten sowohl der mündliche Hinweis der Schulleiterin an den Kläger, die Verrichtung eines Gebets auf dem Schulgelände werde nicht geduldet, als auch das nachfolgende Schreiben an seine Eltern lediglich Hinweise auf die Rechtslage, wie sie nach Ansicht der Schulleiterin besteht, aber keine Regelungen. Sie waren mithin keine Verwaltungsakte. § 43 II VwGO steht der Klage nicht entgegen. Die Feststellungsklage ist die statthafte Klageart.

III. BVerwG DVBl 2009, 1382 [24]: Über das in § 43 Abs. 1 VwGO geforderte berechtigte Interesse hinaus ist nach st. Rspr. § 42 Abs. 2 VwGO entsprechend anzuwenden (BVerfGE 74, 1 [4]; BVerwGE 100, 262 [264]). Eine Feststellungsklage ist somit nur zulässig, wenn der Kläger geltend machen kann, in seinen Rechten verletzt zu sein… Im vorliegenden Fall beruft sich M darauf, dass ohne die Anerkennung des von ihm behaupteten Rechtsverhältnisses er in seinem Recht aus Art. 4 I, II GG verletzt wird. Die Klagebefugnis steht ihm somit zu.

IV. M könnte die Klage ohne Einschaltung seiner Eltern, mit Hilfe des von ihm beauftragten Rechtsanwalts, erheben, wenn er nach § 62 VwGO prozessfähig ist. BVerwG [15]: Obwohl der Kläger das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte und deshalb nach bürgerlichem Recht in seiner Geschäftsfähigkeit noch beschränkt war, war er dennoch prozessfähig. Er war im Sinne des § 62 Abs. 1 Nr. 2 VwGO durch Vorschriften des bürgerlichen oder des öffentlichen Rechts für den Gegenstand seines Verfahrens als geschäftsfähig anerkannt. Nach § 5 Satz 1 des Gesetzes über die religiöse Kindererziehung vom 15. Juli 1921 (RGBl S. 939, BGBl III 404-9) steht dem Kind nach Vollendung des 14. Lebensjahres die Entscheidung darüber zu, zu welchem religiösen Bekenntnis es sich halten will. Die Bestimmung legt das Alter fest, bei dem angenommen wird, dass der Einzelne weitgehend selbst über sein Recht auf Glaubensfreiheit nach Art. 4 GG zu verfügen vermag (Religionsmündigkeit). Die Religionsmündigkeit erstreckt sich auf alle mit der religiösen Selbstbestimmung im Zusammenhang stehenden Fragen einschließlich der Verrichtung religiöser Handlungen (Huber in MünchKommBGB, 5. Aufl. 2008, Anhang zu § 1631 § 5 RelKErzG Rn. 2). Mithin wird der Gegenstand des vorliegenden Verfahrens von der Religionsmündigkeit erfasst. M ist nach § 62 I Nr. 2 VwGO prozessfähig und kann selbst die Klage erheben.

V. Da weitere Bedenken nicht ersichtlich sind, ist die Klage des M gegen das Land L zulässig.

B. Begründetheit der Feststellungsklage

Die Feststellungsklage ist begründet, wenn M berechtigt ist, in den Räumen des G.-Gymnasiums außerhalb der Unterrichtszeit ein islamisches Gebet zu verrichten. Dieses Recht könnte sich aus seinem in Art. 4 I, II GG gewährleisteten Grundrecht der Glaubensfreiheit ergeben. Dieses Grundrecht enthält ein einheitliches Grundrecht, so dass zwischen Abs. 1 und Abs. 2 nicht unterschieden zu werden braucht.

I. Das Verhalten des M müsste vom Schutzbereich des Grundrechts erfasst werden.

1. BVerwG [18]: Art. 4 Abs. 1 und 2 GG enthält ein Grundrecht der Glaubensfreiheit, das umfassend zu verstehen ist (BVerfGE 125, 39 [79]). Dieses Grundrecht bezieht sich nicht nur auf die innere Freiheit, zu glauben oder nicht zu glauben, sondern auch auf die äußere Freiheit, den Glauben zu bekunden und zu verbreiten (BVerfGE 108, 282 [297]). Das von der Glaubensfreiheit umfasste Recht der Religionsausübung ist extensiv auszulegen und erstreckt sich auf kultische Handlungen, die ein Glauben vorschreibt oder in denen er Ausdruck findet, wie z.B. Gebete (BVerfGE 93, 1 [15 f.]). Zwar kann nicht jedes Verhalten einer Person nach deren subjektiver Bestimmung als Ausdruck einer besonders geschützten Glaubensfreiheit angesehen werden. Beansprucht der Einzelne ein Verhalten als Ausdruck seiner Glaubensfreiheit für sich, darf vielmehr bei der Würdigung das Selbstverständnis der jeweiligen Religionsgemeinschaft nicht außer Betracht bleiben. Es kommt darauf an, ob sich das Verhalten nach Gehalt und Erscheinung als Glaubensregel der jeweiligen Religionsgemeinschaft dem Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG hinreichend plausibel zuordnen lässt (BVerfGE 108, 282 [298 f.]).

2. [19]: Daran gemessen unterfällt die streitige Verrichtung des Gebets durch den Kläger dem Schutzbereich von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG… Ein solches Pflichtgebet ist unter anderem zur Mittagszeit zu verrichten. Der Kläger möchte diese rituelle Handlung in der Schule außerhalb der Unterrichtszeit vornehmen, wenn die Zeitspanne, die für das Gebet vorgeschrieben ist, in die Zeit des Schulbesuchs fällt. Auch lässt sich das Gebot, das rituelle Pflichtgebet zu den dafür festgesetzten Zeiten zu verrichten, als islamisch-religiös begründete Glaubensregel dem Schutzbereich der Glaubensfreiheit hinreichend plausibel zuordnen….

3. Fraglich ist, ob Art. 4 auch das Begehren des M schützt, das Gebet im Gebäude des G.-Gymnasiums zu verrichten.

a) BVerwG [22]: Für das Grundrecht der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG hat das BVerwG angenommen, es begründe kein Benutzungsrecht, das nicht schon nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen besteht. Die Entscheidung über Ort und Zeit der Versammlung ist zwar frei, setzt aber die rechtliche Verfügungsbefugnis über den Versammlungsort voraus. Das Recht der freien Ortswahl umfasst nicht das Recht, fremdes Eigentum nach Belieben in Anspruch zu nehmen… (BVerwGE 91, 135 [138 f.]; vgl. auch BVerfG NJW 2011, 1201 [1204], Demonstration im Frankfurter Flughafen - Fraport).

b) [23, 24]: Hiervon unterscheidet sich jedoch die Ausübung der Glaubensfreiheit. Zwar verschafft auch sie dem Einzelnen keinen Anspruch auf Zutritt zu ihm sonst nicht zugänglichen Räumen… Anders als die kollektiv ausgeübte Versammlungsfreiheit schließt die Ausübung der Glaubensfreiheit aber als Recht des Einzelnen in der Regel keinen besonderen Raumbedarf ein, der typischerweise mit Belästigungen verbunden ist. Als Individualgrundrecht steht sie dem Bürger vom Grundsatz her überall dort zu, wo er sich jeweils befindet (vgl. zu der in dieser Hinsicht vergleichbaren Freiheit der Meinungsäußerung: BVerfG NJW 2011, 1201 [1208]). Das gilt jedenfalls für einen Schüler, der in der Schule ein ihm von seiner Religion vorgeschriebenes Gebet verrichten will. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gebietet, den Raum für die aktive Betätigung der Glaubensüberzeugung…zu sichern (BVerfGE 41, 29 [49]). Dies gilt insbesondere für den vom Staat in Vorsorge genommenen Bereich der Schule (BVerfGE 108, 282 [300]). Der Schüler bringt seine Persönlichkeitsrechte in die Schule ein. Gleichzeitig ist er in die Schule und den Unterrichtsablauf eingebunden. Er kann die Schule auch während der Pausen zwischen den Unterrichtsstunden nicht ohne Weiteres verlassen. Darauf könnte er auch nicht verwiesen werden. Er hält sich auch während der Pausen bestimmungsgemäß in der Schule auf und kann - vorbehaltlich noch zu erörternder Schranken - sich dort seinen persönlichen Neigungen und Bedürfnissen entsprechend betätigen. Jedenfalls aufgrund dieser Eingebundenheit in die Schule kann ihm die Wahl von Zeit und Ort des Gebets nicht unter Hinweis darauf von vornherein verwehrt werden, die Schulverwaltung habe die in Betracht kommenden Räume ausschließlich für eine andere Nutzung vorgesehen. Der Schutzbereich der Glaubensfreiheit umfasst in dieser Lage den Zugriff auf einen Raum, der hierfür tatsächlich zur Verfügung steht.

Somit wird das Begehren des M, im Flur des G.-Gymnasiums täglich einmal ein Gebet zu verrichten, vom Schutzbereich des Art. 4 I, II erfasst.

II. Das Begehren des M, in der Schule das Gebet zu verrichten, könnte unter eine Schranke der Glaubensfreiheit fallen, so dass die Hinweise der Schulleitung gegenüber M und seinen Eltern, dass die Verrichtung eines Gebets auf dem Schulgelände nicht geduldet werde, sich als rechtmäßig erweisen.

1. Art. 4 I, II GG enthält keine geschriebene Schranke, insbesondere keinen Gesetzesvorbehalt. Gleichwohl wird das Grundrecht - wie auch andere vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechte wie z. B. Art. 5 III 1 GG - nicht schrankenlos gewährleistet, sondern unterliegt verfassungsimmanenten Schranken. BVerwG [26]: Insoweit besteht das Grundrecht der Glaubensfreiheit aber nicht uneingeschränkt… Da die in Art. 4 Abs. 1 und 2 verbürgte Glaubensfreiheit vorbehaltlos gewährleistet ist, müssen sich Einschränkungen aus der Verfassung selbst ergeben. Hierzu zählen die Grundrechte Dritter sowie Gemeinschaftswerte von Verfassungsrang.

2. Das Grundrecht des M wird beschränkt, soweit Art. 4 I, II GG als Grundrecht der negativen Glaubensfreiheit anderer Schüler oder der Lehrer das fordert.

a) BVerwG [28]: Die in Art. 4 Abs. 1 GG geschützte Glaubensfreiheit umfasst neben der Freiheit, religiöse und weltanschauliche Überzeugungen zu bilden und zu haben sowie sich zu diesen Überzeugungen zu bekennen und sie zu verbreiten, auch die negative Glaubensfreiheit, also die Freiheit, keine religiöse oder weltanschauliche Überzeugung zu haben oder eine solche abzulehnen (BVerfGE 122, 89 [119]). Insoweit ist auch die Freiheit gewährleistet, kultischen Handlungen eines nicht geteilten Glaubens fernzubleiben; das bezieht sich auch auf Kulte und Symbole, in denen ein Glaube oder eine Religion sich darstellt (BVerfGE 108, 282 [301 f.]).

b) [30}: Die negative Glaubensfreiheit ist ein Abwehrrecht, das sich gegen den Staat richtet. Der Staat darf keine Lage schaffen, in welcher der Einzelne ohne Ausweichmöglichkeit dem Einfluss eines bestimmten Glaubens, den Handlungen, in denen dieser sich manifestiert, und den Symbolen, in denen er sich darstellt, ausgesetzt ist…Ihm ist es verwehrt, den Einzelnen gegen seinen Willen zwangsweise mit fremden Glaubensbekundungen, kultischen Handlungen und religiösen Symbolen zu konfrontieren, etwa indem er Klassenräume mit solchen Symbolen ausstattet oder den Schülern in der Gestalt von Lehrkräften entgegentritt, die durch ihr Auftreten ihre religiösen Überzeugungen in den Unterricht hineintragen. Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor.

c) Machen hingegen Schüler in der Schule von ihrer Glaubensfreiheit…durch kultische Handlungen Gebrauch, ist allenfalls eine Schutzpflicht des Staates gegenüber den Mitschülern betroffen.… Die Schutzpflicht des Staates geht aber nicht so weit, dass er Schüler oder auch Lehrkräfte vor jeder Begegnung mit Äußerungen eines ihnen fremden, von ihnen nicht geteilten Glaubens bewahren müsste. Mitschüler und Lehrkräfte werden mit dem betenden Kläger nicht unausweichlich konfrontiert. Sie haben es zwar nicht selbst in der Hand, ob sie auf einem Weg durch die Schule auf den Kläger bei der Verrichtung seines Gebets treffen. Es bleibt ihnen aber unbenommen, bei einer Begegnung mit dem betenden Kläger einen anderen Weg zu nehmen…Eine Begegnung mit dem betenden Kläger beschränkt sich mithin auf ein eher flüchtiges Zusammentreffen. Mitschüler und Lehrkräfte werden dadurch nicht dem Einfluss eines anderen, von ihnen abgelehnten Glaubens in einer Weise ausgesetzt, die ihnen nicht zumutbar ist. Der Einzelne hat in einer Gesellschaft, die unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen Raum gibt, kein Recht darauf, von fremden Glaubensbekundungen, kultischen Handlungen und religiösen Symbolen gänzlich verschont zu bleiben (BVerfGE 108, 282 [302]). Dies gilt auch für den Lebensbereich der Schule.

Somit wird in die negative Glaubensfreiheit Dritter nicht eingegriffen, so dass sich daraus keine Schranke für die positive Glaubensfreiheit des M ergibt.

3. Eine Schranke könnte sich aus dem verfassungsrechtlichen Gebot zur religiösen Neutralität des Staates als Gemeinschaftswert von Verfassungsrang (Verfassungswert) ergeben.

a) BVerwG [35]: Das Grundgesetz begründet für den Staat als Heimstatt aller Staatsbürger die Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität. Es verbietet, staatskirchliche Rechtsformen einzuführen, und untersagt, bestimmte Bekenntnisse zu privilegieren und Andersgläubige auszugrenzen…. Die dem Staat gebotene religiös-weltanschauliche Neutralität ist indes nicht als eine distanzierende Haltung im Sinne einer strikten Trennung von Staat und Kirche zu verstehen… Der Staat darf lediglich keine gezielte Beeinflussung im Dienste einer bestimmten politischen, ideologischen oder weltanschaulichen Richtung betreiben oder sich durch von ihm ausgehende oder ihm zuzurechnende Maßnahmen ausdrücklich oder konkludent mit einem bestimmten Glauben oder einer bestimmten Weltanschauung identifizieren und dadurch den religiösen Frieden in einer Gesellschaft gefährden (BVerfGE 108, 282 [299 f.]).

b) [37]: Daran gemessen ist eine Verletzung des Gebots staatlicher Neutralität nicht zu besorgen, wenn die Schulverwaltung zulässt, dass der Kläger sein Gebet auf dem Flur des Schulgebäudes verrichtet. Darin läge keine einseitige Bevorzugung des islamischen Glaubens oder eine Beeinflussung im Sinne dieses Glaubens. Eine ausdrückliche oder konkludente Identifikation mit diesem Glauben wäre ebenfalls nicht zu verzeichnen. Das Gebet als kultische Handlung ist nicht von der Schulbehörde veranlasst, sondern beruht auf einer eigenen Entscheidung des Gläubigen.

Somit wird gegen das Gebot zur religiösen Neutralität des Staates nicht verstoßen, folglich kann dieser Verfassungswert die Glaubensfreiheit des M nicht beschränken.

4. Eine Einschränkung der Glaubensfreiheit könnte sich aus dem Gebot zur Wahrung des Schulfriedens als Verfassungswert ergeben.

a) BVerwG [42]: Die Erfüllung des staatlichen Erziehungs- und Bildungsauftrags nach Art. 7 Abs. 1 GG setzt voraus, dass der Schulfrieden gewahrt ist (vgl. BVerfGE 108, 282 [303]). Damit ist ein Zustand der Konfliktfreiheit und -bewältigung gemeint, der den ordnungsgemäßen Unterrichtsablauf ermöglicht, damit der staatliche Bildungs- und Erziehungsauftrag verwirklicht werden kann (…). Der Schulfrieden kann auch durch religiös motiviertes Verhalten beeinträchtigt werden (vgl. BVerfGE 108, 282 [303 und 307]). Der religiöse Schulfrieden ist ein Schutzzweck von herausragender Bedeutung (BVerwGE 121, 140 [152]). Die Vermeidung religiös-weltanschaulicher Konflikte in öffentlichen Schulen stellt ein gewichtiges Gemeinschaftsgut dar (BVerwGE 131, 242). Somit ist der Schulfrieden ein Verfassungswert, der das Grundrecht des Art. 4 GG einschränken kann.

b) Nach den - als zutreffend anzunehmenden - Feststellungen im Sachverhalt kommt es am G.-Gymnasium wegen der dort vertretenen Vielzahl von Religionen unter den Schülern zu heftigen, näher geschilderten Konflikten und Verhaltensweisen, die als Störungen des Schulfriedens zu werten sind. Allerdings wird von der Schulleitung nicht behauptet und ist auch nicht festgestellt, dass M sich unmittelbar an friedensstörenden Handlungen beteiligt hat. L hat aber geltend gemacht, die bestehende Konfliktlage würde sich verschärfen, wenn die Ausübung religiöser Riten auf dem Schulgelände gestattet wäre und deutlich an Präsenz gewönne. Dieser, offenbar auf Grund pädagogischer Erfahrung vorgenommenen Einschätzung kann gefolgt werden. Wird ein Glaube so wie durch M und mitbetende Schüler präsentiert, wird das auf andere Schüler starken Eindruck machen und entweder auf Zustimmung oder auch auf Ablehnung (Protest) stoßen, was Konflikte auslösen oder bereits vorhandene verschärfen kann. BVerwG [48]: Die offene Verrichtung eines rituellen Gebets konnte…in diesem Klima die Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen Einstellungen zum Glauben und ihren Geboten aufbrechen lassen, weil es zum Mitmachen auffordert und geeignet ist, zwischen strengen und weniger strengen Anhängern einer Religion zu unterscheiden. Ob der Kläger in einer solchen Absicht gehandelt hat oder gar Auseinandersetzungen schüren wollte, war…unerheblich, weil es nur darauf ankam, dass in dem herrschenden Klima an der Schule die Verrichtung eines rituellen Gebets objektiv geeignet war, weiteren Unfrieden zu stiften.

Somit enthält das Verhalten des M eine (mittelbare) Störung des Schulfriedens.

c) Wegen dieser Störung des Schulfriedens dem M das Beten in der Schule zu versagen, ist nur verfassungsmäßig, wenn dabei das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist. Da eine Grundrechtsbeschränkung auf Grund eines Gesetzesvorbehalts nur nach Maßgabe der Verhältnismäßigkeit (als Schranken-Schranke) vorgenommen werden darf, gilt das erst recht, wenn ein vorbehaltlos Grundrecht beschränkt werden soll.

aa) BVerwG [51-61]: Die Einschränkung der Möglichkeit, in der Schule das rituelle islamische Mittagsgebet zu verrichten, ist geeignet, den damit verfolgten legitimen Zweck zu erreichen, der zutreffend prognostizierten Verschärfung der ohnehin bereits bestehenden konkreten Gefahr für den Schulfrieden zu begegnen.

bb) An diesem Zweck ausgerichtet erweist sich die Beschränkung der Glaubensfreiheit als erforderlich.Zwar hat die Schule in erster Linie pädagogische Mittel anzuwenden, ehe sie Verbote ausspricht. Jedoch sind den Möglichkeiten der Schule Grenzen gesetzt, konkreten religiös motivierten Konflikten mit erzieherischen Mitteln zu begegnen. Diese Grenzen sind offenbar im vorliegenden Fall erreicht, weil es andernfalls nicht zu den geschilderten umfangreichen Störungen gekommen wäre. Auch durch das mildere Mittel, einen Gebetsraum einzurichten, so dass das Beten weniger in die Schulöffentlichkeit hineinwirkt, lassen sich Störungen nicht zuverlässig verhindern. So hatte im Fall des BVerwG die Schule schon einmal einen gemeinsamen Gebetsraum eingerichtet, der wieder geschlossen werden musste, nachdem es zu Auseinandersetzungen zwischen Schülerinnen, die ein Kopftuch getragen hatten, und anderen, die dies nicht getan hatten, gekommen war, und nachdem die Jungen es abgelehnt hatten, gemeinsam mit Mädchen zu beten. Davon, dass das G.-Gymnasium genügend Räume und Personal zur Verfügung hat, um solche Störungen zu verhindern, kann nicht ausgegangen werden.

cc) Die Einschränkung der Glaubensfreiheit erweist sich auch als angemessen… Zwar wiegt die Einschränkung der Glaubensfreiheit des Klägers nicht leicht… Der mit der Einschränkung des Grundrechts verfolgte Zweck ist aber höher zu gewichten als die Beeinträchtigung der Glaubensfreiheit des Klägers. Der Wahrung des Schulfriedens kommt besonderes Gewicht zu. Dies gilt hier in besonderem Maße, weil durch die Verrichtung des Gebets eine bereits bestehende hinreichende Wahrscheinlichkeit der Störung des Schulfriedens aufgrund religiöser Konflikte erhöht würde und deshalb eine besonders intensive Gefahrenlage für den Schulfrieden zu besorgen wäre. Bei einer solchen Fallgestaltung muss die Religionsausübung des Klägers hinter die Wahrung des ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten Schulfriedens zurücktreten.

Die von L ausgesprochene Weigerung, das Beten in der Schule zu dulden, ist somit verhältnismäßig.

d) BVerwG [26]: Die Einschränkung der vorbehaltlos gewährleisteten Glaubensfreiheit bedarf einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage (BVerfGE 108, 282 [297]). Als solche lässt BVerwG [62] die Vorschrift des § 46 II 3 SchulG ausreichen: Obwohl § 46 Abs. 2 Satz 3 SchulG als Generalklausel die Einschränkung der Religionsausübung nicht speziell anspricht und Nr. II. 16 der Schulordnung nicht vom parlamentarischen Gesetzgeber verantwortet ist, reichen diese Bestimmungen als Grundlage für eine Einschränkung der Glaubensfreiheit aus, soweit es - wie hier - um die Abwehr konkreter Gefahren für dieses Schutzgut geht (vgl. BVerfGE 108, 282 [303]).

Ergebnis: Das grundsätzlich geschützte Recht des M aus Art. 4 I, II GG, in der Schule zu beten, wird durch den Verfassungswert des ungestörten Schulfriedens eingeschränkt und entfällt damit im vorliegenden Fall. Die Feststellungsklage ist unbegründet.


Zusammenfassung