Bearbeiter: Prof. Dieter Schmalz

Öffentliches Sachenrecht, Straßenrecht; Gemeingebrauch oder Sondernutzung, §§ 7, 8 FStrG. Öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Sondernutzung. Grundrechtsanwendung bei privatrechtlicher Verwaltung. Meinungs- und Kunstfreiheit, Art. 5 GG

BayVGH
Beschluss vom 15. 12. 2017 (8 ZB 16.1819) NVwZ 2018, 511

Fall (Stolperstein)

A beabsichtigt, in der im Lande L gelegenen Stadt S in den Gehweg der Marktstraße vor dem Haus Nr. 33 einen „Stolperstein“ zu verlegen. In diesem Haus haben Verwandte jüdischen Glaubens von ihm gewohnt, bis sie im Jahre 1943 von den Nazis deportiert und in Auschwitz ermordet wurden. Die Stolpersteine sind ein Projekt des Künstlers Gunter Demning, der damit zu einem „gedanklichen Stolpern“ anregen will, um an das Schicksal der Menschen zu erinnern, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt und ermordet wurden. Die kleinen, auf einem Betonwürfel befestigten Messingtafeln werden von Hand gefertigt, mit dem Namen des NS-Opfers, seines Geburtsjahres und Ort und Zeit des Todes beschriftet und vor dessen letzten frei gewählten Wohnhaus niveaugleich in die Decke des Gehwegs eingelassen; das Einbringen dauert maximal 20 Minuten. Im Jahre 2017 gab es ca. 60.000 Steine; sie gelten als das größte dezentrale Gesamtkunstwerk der Welt.

A beantragte beim zuständigen Liegenschaftsamt der Stadtverwaltung S eine Erlaubnis zum Anbringen des Stolpersteins und bot an, darüber einen Vertrag mit der Stadt zu schließen. Der Antrag wurde durch Bescheid vom 3. 11. abgelehnt. Zur Begründung verwies die Behörde auf einen Beschluss des Rates der Stadt S vom 11. 1., wonach die Stadt keine Erlaubnis zur Verlegung von sog. Stolpersteinen erteilt. Der Beschluss wurde damit begründet, hiermit werde einem Wunsch der jüdischen Gemeinde gefolgt, wonach es der Würde der Opfer nicht angemessen sei, wenn die Erinnerungsstücke in die Straßendecke eingelassen würden, wo es häufig schmutzig sei und die Menschen achtlos auf ihnen herumtrampeln. Es gebe andere Möglichkeiten des Gedenkens, beispielsweise eine kleine Gedenktafel an dem Haus. Der Bescheid vom 3. 11. verweist darauf, dass das Haus Nr. 33 einer Wohnungsgesellschaft gehört, die ihr Einverständnis zu einer Gedenktafel erklärt hat.

A beabsichtigt, gegen die Ablehnung mit einer verwaltungsgerichtlichen Klage vorzugehen, und bittet um ein Gutachten zu den Aussichten einer solchen Klage. Er beruft sich gegenüber der Argumentation der Stadt auf die Grundrechte aus Art. 4, 5 GG und verweist darauf, dass in fast allen anderen Städten die Stolpersteine erlaubt seien und ihr Einbringen sogar gefördert werde. Für den Fall, dass die verwaltungsgerichtliche Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat, ist auch eine Klage vor dem Zivilgericht zu prüfen.

Hinweise für die Bearbeitung: Im Land L hat das Straßengesetz denselben Inhalt wie das Bundesfernstraßengesetz (FStrG), d. h. es ist das FStrG als Landesrecht anzuwenden. Das Widerspruchsverfahren ist grundsätzlich abgeschafft.

Lösung

Vorbemerkung: Der Originalfall spielte in München, anwendbar war das Bayerische Straßen- und Wegegesetz. Durch obigen Sachverhalt wurde der Fall in das anonyme Land L verlegt und dem Landesstraßengesetz des Landes L derselbe Inhalt gegeben, wie er sich aus dem Bundesfernstraßengesetz ergibt. Daraus ergab sich die Notwendigkeit, die Zitate aus dem Beschluss des BayVGH anzupassen. Gedankengang und Lösung ändern sich dadurch nicht. - Die Entscheidung wird besprochen von Waldhoff JuS 2018, 926.

A. Erfolgsaussichten einer verwaltungsgerichtlichen Klage

I. Diese müsste zulässig sein.

1. Für die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs müssen die Voraussetzungen des § 40 I VwGO vorliegen, insbesondere muss es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit handeln. Grundsätzlich richtet sich der Rechtscharakter einer Streitigkeit nach dem Rechtscharakter der streitentscheidenden Normen. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit liegt somit vor, wenn sie nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften zu entscheiden ist. Die Streitigkeit zwischen A und der Stadt S besteht darin, dass A eine Benutzung der Marktstraße durch einen Eingriff in den Straßenkörper erstrebt, die Stadt dass aber nicht erlaubt.

a) Die Benutzung einer Straße ist im FStrG in § 7 (Gemeingebrauch) und § 8 (Sondernutzung) geregelt.

aa) Da A um eine Erlaubnis nachgesucht hat, geht er davon aus, dass kein Gemeingebrauch vorliegt, sondern dass das erstrebte Einbringen des Stolpersteins eine Sondernutzung ist. Nach der grundsätzlichen Regelung in § 8 I FStrG entscheidet über die Zulässigkeit einer Sondernutzung eine Behörde, also ist § 8 I FStrG eine öffentlich-rechtliche Vorschrift. § 8 I FStrG regelt die öffentlich-rechtliche, durch Verwaltungsakt zu erteilende Sondernutzungserlaubnis. Für eine danach zu entscheidende Klage ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben.

bb) Nach § 8 X FStrG richtet sich d ie Einräumung von Rechten zur Benutzung des Eigentums der Straßen „nach bürgerlichem Recht“, wenn die Benutzung den Gemeingebrauch nicht beeinträchtigt, wobei eine Beeinträchtigung von nur kurzer Dauer für Zwecke der öffentlichen Versorgung außer Betracht bleibt. Wie der Nachsatz zeigt, betrifft diese Regelung in erster Linie die Verlegung von Versorgungsleitungen (für Strom, Wasser, Gas, Abwasser) in der Straße. § 8 X FStrG regelt die privatrechtliche Sondernutzung. Für eine danach zu entscheidende Klage ist der Zivilrechtsweg gegeben (§ 13 GVG). Das gilt auch dann, wenn dabei Grundrechte zur Anwendung kommen. Denn diese haben gegenüber § 8 X FStrG keine selbstständige Bedeutung, sondern modifizieren und beschränken lediglich das Privatrecht. Eine Streitigkeit bleibt auch dann eine privatrechtliche, wenn das privatrechtliche Rechtsverhältnis durch öffentlich-rechtliche Bindungen modifiziert wird (BGHZ 29, 76; BVerwG NVwZ 1991, 59; BVerfG NJW 1992, 493/4).

Der Regelung in § 8 I und X FStrG liegt das für das Recht der öffentlichen Sachen grundlegende Prinzip zugrunde, wonach die Straße eine öffentliche Sache ist und dem öffentlichen Recht unterliegt, dass an einer öffentlichen Sache aber auch privates Eigentum besteht (vgl. dazu auch § 6 FStrG), wobei die öffentlich-rechtlichen Rechte und Pflichten den privatrechtlichen vorgehen. Dieses Prinzip wird als Lehre vom modifizierten Privateigentum oder auch als Dualismus von öffentlichem und privaten Recht bezeichnet. (Etwas anderes gilt in Hamburg, wo es ein öffentlich-rechtliches Eigentum an öffentlichen Straßen gibt, teilweise auch in Berlin.)

b) Nach den Überlegungen unter a) könnte zu entscheiden sein, ob für das Einbringen des Stolpersteins eine öffentlich-rechtliche oder eine privatrechtliche Sondernutzung zu erteilen ist. Jedoch ist eine Entscheidung dieser, für den Rechtsstreit wesentlichen Frage bereits an dieser Stelle nicht nötig. Denn A kann sich zur Begründung der Klage auf den Standpunkt stellen, dass er eine öffentlich-rechtliche Erlaubnis nach § 8 I FStrG benötigt und beantragt hat, und kann nach Ablehnung durch das Liegenschaftsamt diese Frage zum Gegenstand seiner Klage machen. Auf der Grundlage dieses Klagebegehrens (§ 88 VwGO) ist eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit und damit der Verwaltungsrechtsweg zu bejahen (BayVGH [42]).

c) Dagegen lässt sich eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht damit begründen, das Liegenschaftsamt habe einen „Bescheid“ erlassen. Zwar ist eine Maßnahme, die eindeutig in der Form eines Verwaltungsaktes erlassen wird, unabhängig von ihrem Inhalt als VA zu behandeln (vgl. BVerwGE 78, 3, 5/6; 18, 1, 5). Insbesondere kann ein belastender „Bescheid“ mit Tenor, Begründung, Rechtsbehelfsbelehrung („Gegen diesen Verwaltungsakt können Sie …“) vom Adressaten als VA angefochten werden, selbst wenn er sich auf ein privatrechtliches Verhältnis bezieht. Jedoch reicht der Umstand, dass das Amt den Antrag des A mit einem als „Bescheid“ bezeichneten Schreiben abgelehnt hat, für die Annahme eines VA aus formellen Gründen nicht aus.

2. Mit der auf § 8 I FStrG gestützten Klage erstrebt A eine Erlaubnis, die ein VA ist, und die von einer Behörde abgelehnt wurde. Als Klageart greift somit die Verpflichtungsklage ein (§ 42 I VwGO; BayVGH [3, 47]).

3. Die Klagebefugnis (§ 42 II VwGO) steht A zu, weil er geltend machen kann, er habe einen Anspruch auf Erteilung der Erlaubnis oder zumindest einen Anspruch auf eine neue ermessensfehlerfreie Entscheidung. Auch beruft er sich auf die Verletzung von Grundrechten.

4. Ein Widerspruchsverfahren nach § 68 II, I VwGO ist im Lande L im Einklang mit § 68 I 2 VwGO nicht mehr vorgesehen.

5. Klagegegner ist die Stadt S als Träger des Liegenschaftsamtes, das die Aufgaben der Stadt als Straßenbaubehörde (§ 8 I 2 FStrG) wahrnimmt. Die Klage ist zulässig.

II. Begründetheit der Klage

Nach § 113 V VwGO ist die Verpflichtungsklage begründet, soweit die Ablehnung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist. Diese Voraussetzungen liegen vor, wenn der Kläger einen Anspruch auf den abgelehnten VA hat. Im vorliegenden Fall kommt § 8 I FStrG als Rechtsgrundlage für die Entscheidung der Behörde und als Anspruchsgrundlage für A in Betracht.

Bei einem Antrag auf eine Erlaubnis oder Genehmigung ist, sofern das nicht feststeht, zunächst ist zu prüfen, ob für das Verhalten, für das eine Erlaubnis erstrebt wird, überhaupt eine Erlaubnis erforderlich ist. Denn ist ein Verhalten nicht erlaubnispflichtig, darf die Behörde keine Erlaubnis erteilen. So darf die Baubehörde für ein genehmigungsfreies Bauvorhaben keine Baugenehmigung erteilen, das Forstamt darf für das Betreten des Waldes keine Betretenserlaubnis ausstellen. Folglich ist für eine Anwendung des § 8 I FStrG erforderlich, dass A für das Anbringen des Stolpersteins eine Sondernutzungserlaubnis benötigt (BayVGH [5, 10]).

1. Als Sondernutzung erlaubnispflichtig ist nach § 8 I 1, 2, FStrG eine Benutzung der Straße über den Gemeingebrauch hinaus.

a) BayVGH [14] Die Verlegung und der dauerhafte Verbleib eines Stolpersteins im öffentlichen Straßengrund sind als Benutzung der Straße …einzustufen. Dies gilt insbesondere für den Verlegungsvorgang selbst, also die Einbringung eines Stolpersteins in die öffentliche Straße. Mit der Einbringung wird in die Substanz des Straßenkörpers eingegriffen, zu dem auch der Gehweg mit Gehwegdecke, Unterbau und Grund gehören (…). Dieser Eingriff stellt eine Straßenbenutzung dar. Dies folgt bereits aus dem allgemeinen Sprachgebrauch des Wortes „Benutzung“, das so viel wie „Verwenden“ oder „Gebrauchmachen“ von einer Sache bedeutet (…). Der BayVGH verweist auch noch auf die Begründung des Gesetzgebers, wonach das „Aufgraben“ einer Straße als Beispiel für die „Benutzung der Straße“ angeführt wird.

b) Die Benutzung müsste über den Gemeingebrauch hinausgehen.

aa) Nach § 7 I 1 FStrG ist Gemeingebrauch die Benutzung der Straße im Rahmen der Widmung und der verkehrsbehördlichen Vorschriften zum Verkehr. Satz 3 stellt klar, dass kein Gemeingebrauch vorliegt, wenn die Straße nicht vorwiegend zum Verkehr, sondern zu anderen Zwecken benutzt wird. Verkehr im engeren Sinn ist eine auf Ortsveränderung gerichtete Tätigkeit einschließlich der damit zusammenhängenden Vorgänge wie das Parken eines Fahrzeugs. Darüber hinaus wird der Begriff des Verkehrs im Sinne des Gemeingebrauchs weit gefasst. Dazu gehören auch Gespräche auf dem zur Straße gehörenden Gehweg und die nichtkommerzielle Werbung (als kommunikativer Verkehr, gestützt auf Art. 5 I GG), das bloße Verweilen auf der Straße, Kinderspiele, Joggen.

bb) Ein Eingriff in die Substanz des Straßenkörpers ist kein Verkehr mehr. BayVGH [16] Die Verlegung und der Verbleib eines Stolpersteins in öffentlichen Straßen gehen über den Gemeingebrauch hinaus, weil sie nicht für Zwecke des Verkehrs erfolgen, und zwar weder im engeren Sinn eines auf Ortsveränderung gerichteten Fortbewegungsverkehrs noch im weiteren Sinn eines auf Begegnung und Kommunikation mit anderen Verkehrsteilnehmern gerichteten sog. kommunikativen Verkehrs (vgl.…BVerwGE 84, 71/73; BayVGH BayVBl 2011, 176). Vielmehr handelt es sich um ein in den öffentlichen Straßenkörper verlegtes Kunstprojekt…, mit dem die Erinnerung an die Vertreibung und Vernichtung der Opfer des Nationalsozialismus lebendig erhalten werden soll.

[17] Zum kommunikativen Verkehr gehört die Inanspruchnahme der Straße durch Personen zum Aufenthalt – gleichgültig aus welchem Grund – oder zur Fortbewegung, nicht jedoch das Einbringen von Gegenständen in den Straßenkörper (vgl. BVerwGE 56, 63/65 f.…).

Somit ist das von K erstrebte Verhalten kein Gemeingebrauch, sondern Sondernutzung.

2. Der die Erlaubnisbedürftigkeit beschreibende Wortlaut der § 8 I 1, 2 FStrG bedarf in mehrfacher Hinsicht der Einschränkung. Nicht erlaubnisbedürftig sind Vorgänge, die durch Satzung der Gemeinde freigestellt sind (§ 8 I 4 FStrG). Eine Sondernutzungserlaubnis ist nicht nötig, wenn eine Genehmigung nach dem Straßenverkehrsrecht (z. B. nach § 29 StVO) erforderlich ist. Öffentliche Versammlungen unterfallen einschließlich der Straßenbenutzung ausschließlich dem Versammlungsrecht.

Im vorliegenden Fall könnte § 8 I FStrG durch Absatz 10 verdrängt werden (vgl. bereits oben A I 1 a bb). Nach § 8 X FStrG bedarf es keiner öffentlich-rechtlichen Sondernutzungserlaubnis, sondern einer privatrechtlichen, wenn durch die Benutzung der Straße der Gemeingebrauch nicht beeinträchtigt wird.

a) BayVGH [19] Der Gemeingebrauch wird beeinträchtigt, wenn die tatsächliche Benutzung des öffentlichen Verkehrsraums durch andere Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen oder nicht unerheblich erschwert wird, mithin die Straße den gewöhnlichen Bedürfnissen des Verkehrs…sowie den Anforderungen der Sicherheit und Leichtigkeit nicht so genügen kann, wie dies ohne das störende Ereignis der Fall wäre.

b) [20] Danach ist davon auszugehen, dass ein bündig im Gehweg befindlicher Stolperstein die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs nicht beeinträchtigt. Auch das kurzzeitige Stehenbleiben von Passanten zum Lesen der Inschrift auf der…Messingplatte oder das Vorbeilenken der Schritte aus Respekt vor den Opfern des Holocaust kann zu keiner solchen Beeinträchtigung führen. Selbst gewisse Unebenheiten in der Straßenoberfläche im Bereich von bis zu 10 mm können die Sicherheit und Leichtigkeit des Fußgängerverkehrs und damit den Gemeingebrauch des Gehwegs nicht beeinträchtigen, wie sich etwa am Beispiel eines Kopfsteinpflasters zeigt.

[21] Keine Beeinträchtigung des Gemeingebrauchs enthält auch der eigentliche Verlegungsvorgang (Öffnung des Gehwegbelags auf wenigen Quadratdezimetern ohne Einsatz von Baumaschinen, Setzen des Stolpersteins und anschließende Verfüllung der Fugen)…

Folglich wird durch Verlegung und Verbleib des Stolpersteins der Gemeingebrauch nicht beeinträchtigt. Die von A beantragte Sondernutzung richtet sich nach § 8 Abs. 10 FStrG, nicht nach § 8 Abs. 1. A braucht keine öffentlich-rechtliche Sondernutzungserlaubnis. Seine darauf gerichtete Verpflichtungsklage ist unbegründet.

III. Wie festgestellt, richtet sich das Gestattungsbegehren des A nach § 8 X FStrG, einer für sich genommen privatrechtlichen Vorschrift, für die der Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet ist (oben A I 1 a bb). Jedoch prüft nach § 17 II GVG das Gericht des zulässigen Rechtsweges den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten. Ein solcher rechtlicher Gesichtspunkt könnte § 8 X FStrG sein, dann würde diese Vorschrift im Verwaltungsrechtsweg mitgeprüft. Die weitere Prüfung muss aber denselben Rechtsstreit betreffen; der Streitgegenstand darf nicht verändert werden. Eine durch VA zu erteilende Sondernutzung und eine als privatrechtliche Willenserklärung abgegebene Gestattung sind so unterschiedliche Maßnahmen, dass sie nicht mehr als der gleiche Streitgegenstand bewertet werden können. (Vgl. BayVGH [42-47], wo § 17 II GVG nicht angesprochen wurde.) § 8 X FStrG kann somit nicht Prüfungsgegenstand im Verwaltungsrechtsweg sein.

B. Prüfung einer Klage im Zivilrechtsweg

I. Eine Klage des A gegen die Stadt S im Zivilrechtsweg ist zulässig.

1. Dass der Zivilrechtsweg (§ 13 GVG) eröffnet ist, folgt daraus, dass § 8 X FStrG Grundlage für die Streitentscheidung ist und ausdrücklich auf das bürgerliche Recht verweist. Daran ändert sich nichts dadurch, dass möglicherweise Grundrechte anwendbar sind (oben A I 1 a bb).

2. Die Klage ist eine Leistungsklage, gerichtet auf eine positive Entscheidung über den Antrag des A auf Gestattung der Verlegung des Stolpersteins im Gehweg der Marktstraße.


3. Zuständig ist das Landgericht (§§ 71 I, 23, 23 a GVG).

II. Begründet ist die Klage, wenn A gegen die Stadt S einen Anspruch auf eine positive Entscheidung über seinen Gestattungsantrag hat. Eine positive Entscheidung ist d urch einseitige Erklärung oder durch Abschluss eines Vertrages zwischen A und der Stadt möglich.

1. Dabei handelt die Stadt als Eigentümerin der Straße (§ 8 X FStrG i. V. mit der Lehre vom modifizierten Privateigentum ).Grundsätzlich ist ein Eigentümer frei in der Entscheidung, ob er einem anderen die Benutzung seines Eigentums gestattet (§ 903, 1 BGB). Jedoch ist eine Stadt Hoheitsträger und Teil des Staates, der an die Grundrechte gebunden ist (Art. 1 III GG). Nach der früheren Lehre vom Verwaltungsprivatrecht war die Grundrechtsbindung bei privatrechtlichem Handeln beschränkt auf Sachbereiche, in denen öffentliche Aufgaben wahrgenommen wurden. Bereits danach sind im vorliegenden Fall Grundrechte anwendbar, denn bei der Verwaltung einer öffentlichen Straße nach § 8 X FStrG wird eine öffentliche Aufgabe mit den Mitteln des Privatrechts wahrgenommen. Inzwischen hat das BVerfG entschieden, dass die Grundrechte den Staat und seine Organisationen umfassend binden, unabhängig von Sachbereichen, Handlungs- und Organisationsformen (NJW 2016, 3153, „Freizeitbad“, dort [26-31]).

Folglich gelten Grundrechte für die Entscheidung der Stadt S über den Antrag des A. Das bedeutet, dass A einen Anspruch auf eine Gestattung hat, wenn die Ablehnung der Gestattung einen Eingriff in ein Grundrecht des A enthält und dieser Eingriff nicht gerechtfertigt ist. Ist der Eingriff gerechtfertigt, hat die Stadt im Rahmen der Verhältnismäßigkeit und nach Ermessen zu entscheiden (vgl. BGH vom 6. 11. 2009, V ZR 63/09) und dabei das Grundrecht zu berücksichtigen.

2. A beruft sich auf Art. 4 GG, das Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit. Das Anbringen des Stolpersteins ist kein vom Glauben oder Gewissen des A gefordertes Verhalten; A hat das auch nicht behauptet. Dass die Juden von den Nazis auch wegen ihres Glaubens verfolgt wurden - in erster Linie allerdings aus Rassenwahn -, reicht nicht aus, um das Gedenken an sie dem Schutzbereich des Art. 4 GG zu unterstellen. Folglich wird in den Schutzbereich des Art. 4 GG durch die Ablehnung der Gestattung nicht eingegriffen.

3. Art. 5 I GG schützt die Meinungsfreiheit.

a) Auf der Messingtafel des Stolpersteins werden Namen, Geburtsjahr, Ort und Zeit des Todes mitgeteilt. Das sind Tatsachen und noch keine Meinungsäußerung. Wer sich aber der Tafel zuwendet, erkennt, dass sie auf die Verbrechen der Judenverfolgung hinweist und zum Nicht-Vergessen aufruft. Darin liegen Meinungsäußerungen, die unter den Schutzbereich des Art. 5 I GG fallen.

b) Ein Eingriff in die Meinungsfreiheit könnte mit der Begründung bejaht werden, dass die Ablehnung der Gestattung die Meinungsäußerung unmöglich macht. Jedoch ist Art. 5 I GG ein Abwehrrecht gegen hoheitliche Eingriffe und gewährt kein Recht darauf, eine Meinung durch Verwenden fremden Eigentums zu äußern. Dem entspricht, dass sich die Ablehnung der Gestattung durch die Stadt S nicht gegen die beabsichtigte Aufforderung zum Gedenken richtet, wie sich auch daraus ergibt, dass ein Vorschlag zu einer alternativen Form des Gedenkens gemacht wird. In der Weigerung der Stadt, ihr Eigentum für eine Verbreitung der Meinung des A zur Verfügung zu stellen, liegt kein Eingriff in die Meinungsfreiheit.

c) Da aber auch die Bejahung eines Eingriffs vertretbar ist (oben b erster Satz), wird in dem von A erbetenen Gutachten zusätzlich geprüft, ob dieser gerechtfertigt ist. Die Meinungsfreiheit wird durch die allgemeinen Gesetze eingeschränkt (Art. 5 II GG).

aa) Zu den allgemeinen Gesetzen gehören § 8 X FStrG, § 903, 1 BGB. Ihnen ist zu entnehmen, dass die Stadt zur Gestattung eines Eingriffs in ihr Eigentum nicht voraussetzungslos verpflichtet ist, sondern einen Entscheidungsspielraum behält; andernfalls hätte die Heranziehung des Privatrechts materiell keine Bedeutung. Innerhalb dieses Spielraums ist allerdings die Meinungsfreiheit mit einigem Gewicht zu berücksichtigen. An diesen Anforderungen ist die Begründung der Ablehnung zu messen.

bb) Auszugehen ist davon, dass das entscheidende Amt der Stadtverwaltung an den Beschluss des Rates der Stadt gebunden war und sich auf dessen Begründung berufen durfte. Somit kommt es auf die Begründung des Ratsbeschlusses an. Diese bezieht sich auf einen Wunsch der jüdischen Gemeinde, der sich an der Wahrung der Würde der Opfer orientiert. Wenn in diesem Wunsch missbilligt wird, dass Erinnerungsstücke so angebracht werden, dass sie mit dem Straßenschmutz in Kontakt kommen und Menschen achtlos darauf herumtreten, ist das zumindest vertretbar; folglich ist auch die Begründung des Beschlusses des Stadtrats vertretbar. Eine ausreichende Berücksichtigung der Meinungsfreiheit erfolgt dadurch, dass auf andere Möglichkeiten des Gedenkens hingewiesen wird. Nach der zusätzlichen Begründung in dem ablehnenden Bescheid, wonach der Eigentümer des Hauses Nr. 33 mit der Anbringung einer Gedenktafel einverstanden ist, lassen diese sich im Fall des A auch realisieren. Somit ist die Ablehnung weder unverhältnismäßig noch ermessensfehlerhaft, sondern als Eingriff in die Meinungsfreiheit gerechtfertigt.

Art. 5 I GG wird nicht verletzt und kann einen Anspruch des A auf eine Gestattung nicht begründen.

4. Art. 5 III GG schützt die Freiheit der Kunst.

a) Nach üblicher Definition ist Wesen der künstlerischen Betätigung, dass Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden. Ob sich das im Hinblick auf die Messingplättchen, die an das Schicksal der NS-Opfer erinnern sollen, überzeugend bejahen lässt, ist zweifelhaft und bleibt hier offen. Möglicherweise könnten die handgefertigten Messingplättchen als Skulpturen der Bildhauerkunst zugeordnet werden; auch das bleibt offen. Denn die Bejahung eines Kunstwerks kann sich auch daraus ergeben, dass ein Handelnder sich als Künstler versteht (Prinzip der Selbstanerkennung) und dass ein in Kunstfragen kompetenter Dritter (Sachverständiger) Kunst annimmt (Prinzip der Drittanerkennung). Der Hersteller der Plättchen versteht sich als Künstler und wird im Sachverhalt so bezeichnet. In der Öffentlichkeit und bei Dritten ist die Gesamtheit der Stolpersteine als Kunstwerk anerkannt (vgl. auch BayVGH oben A II 1 b bb: „Kunstprojekt“); der einzelne Stein ist ein Teil davon. Folglich fällt der Stolperstein, den A anbringen will, unter den sachlichen Schutzbereich des Grundrechts auf Kunstfreiheit.

b) Allerdings ist A selbst nicht der Künstler, so dass fraglich ist, ob er unter den persönlichen Schutzbereich des Art. 5 III GG fällt. Neben dem die Schaffung eines Kunstwerks schützenden Werkbereich schützt Art. 5 III GG auch den Wirkbereich, durch den anderen der Zugang zu dem Kunstwerk verschafft wird. In diesem Bereich wird A als Vermittler des Kunstwerks tätig (vgl. BVerfGE 30, 173, 191). Da der Erschaffer der Stolpersteine die meisten nicht selbst anbringen kann, sind Angehörige der NS-Opfer wie A notwendige Vermittler und dürfen sich auf die Kunstfreiheit des Art. 5 III GG berufen.

c) Was den Eingriff in die Kunstfreiheit betrifft, gelten die gleichen Überlegungen wie bei 3 b). Auch Art. 5 III GG ist ein Abwehrrecht gege n hoheitliche Eingriffe und gewährt kein Recht darauf, ein Kunstwerk der Öffentlichkeit durch Verwendung fremden Eigentums zugänglich zu machen. Andernfalls müsste eine Stadtverwaltung das Bemalen ihrer Straßen und Gebäude durch Graffiti-Künstler dulden, was unvertretbar wäre. Somit ist die Ablehnung der Gestattung kein Eingriff in die Kunstfreiheit.

d) Im Falle der Bejahung eines Eingriffs wäre dieser gerechtfertigt. Zwar steht die Kunstfreiheit nicht unter Gesetzesvorbehalt, sie unterliegt aber verfassungsimmanenten Schranken, indem sie durch kollidierende Grundrechte Dritter und andere mit Verfassungsrang ausgestatteten Rechtsgüter beschränkt wird (BVerfGE 67, 213; 83, 130). Über Grundrechte verfügt die Stadt S als Hoheitsträger nicht. Ihr steht aber die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung (Art. 28 II GG) als Verfassungswert zu. Die Selbstverwaltung umfasst auch die Verwaltung der Gemeindestraßen und die Entscheidung darüber, in welcher Form ein öffentliches Gedenken stattfindet, wenn dabei Eingriffe in die Substanz der Straße beabsichtigt sind. Dabei ist die Stadt nicht völlig frei, sondern muss gegenläufige Rechte und Interessen der Bürger berücksichtigen. Hierfür reichen aber die oben bei der Meinungsfreiheit (3 c bb) angestellten Erwägungen aus.

Art. 5 III GG wird durch die Ablehnung nicht verletzt.

5. Indem A darauf verweist, dass in fast allen anderen Städten die Stolpersteine erlaubt sind, macht er eine Verletzung des Gleichheitsgrundrechts (Art. 3 I GG) geltend. Jedoch beschränkt sich d ie dem Gleichheitssatz zugrundelie gende Gleichbehandlungspflicht auf den Zuständigkeitsbereich des handelnden Hoheitsträger s; es dürfen also nur Maßnahmen des gleichen Rechtsträgers verglichen werden (BVerfGE 106, 225, 241; BVerwG NJW 2014, 331 [34]). Fälle, die außerhalb dieses Vergleichsbereichs liegen, werden nicht am Maßstab des Gleichheitssatzes gemessen. Somit sind bei der Anwendung des Art. 3 I GG andere Städte nicht in den Vergleich einzubeziehen. Dass innerhalb der Stadt S eine Ungleichbehandlung erfolgt, macht A nicht geltend. Art. 3 I GG ist nicht verletzt.

C. Somit führt weder eine Klage vor dem Verwaltungsgericht noch vor dem Landgericht dazu, dass A eine Erlaubnis erhält, den Stolperstein in die Marktstraße vor dem Haus Nr. 33 zu verlegen. Beide Klagen haben keine Aussicht auf Erfolg.


Zusammenfassung