Bearbeiter: Dr. Gernot Schmalz-Brüggemann

Erbrecht: Gemeinschaftliches Testament, § 2265 BGB. Wechselbezügliche Verfügungen, §§ 2270, 2271 BGB. Anfechtung einer letztwilligen Verfügung wegen Motivirrtums, § 2078 II BGB (Drittanfechtung). Analoge Anwendung der §§ 2281 (Selbstanfechtung beim Erbvertrag), 2285 BGB auf das gemeinschaftliche Testament

BGH
Urteil vom 25. 5. 2016 (IV ZR 205/15) NJW 2016, 2566

Fall (Sozialpädagogik statt Medizin)

Eheleute M (Mutter) und V (Vater) sind Eltern der Töchter K und B. Im Jahre 1990 errichteten V und M ein Testament, das von V eigenhändig geschrieben und auch von M unterschrieben wurde. Darin setzten sich V und M gegenseitig zu Erben und die Tochter K zur Alleinerbin des Letztversterbenden ein und bestimmten, B solle weder Erbin sein noch einen Pflichtteil erhalten. Im Jahre 1998 verfasste V ein weiteres Testament, in dem er seine Ehefrau M zu seiner Alleinerbin erklärte. Einen Bezug auf das Testament von 1990 enthielt das zweite Testament nicht. Im Jahre 2005 starb V. M übersandte dem Nachlassgericht das Testament von 1998. Im Jahre 2014 starb M. Das Nachlassgericht, dem das Testament von 1998 vorlag, stellte einen Erbschein aus, in dem K und B je zur Hälfte als gesetzliche Erben der M aufgeführt waren.

Im Jahre 2016 fand K in einem Tresor ihres Elternhauses das Testament von 1990 und verlangte von B ihre Anerkennung als Alleinerbin. B verweigerte das mit der Begründung, der Anlass für ihre Enterbung sei längst entfallen. Die Eltern seien damals wütend auf sie gewesen, weil sie entgegen deren Wunsch Sozialpädagogik statt Medizin studiert und ihre Eltern außerdem auf Unterhaltsleistung verklagt hatte. Jedoch hätten sich bereits etwa ein Jahr später die Eltern - vornehmlich auf Betreiben der M - wieder mit ihr versöhnt. Mit derselben Begründung erklärte B in einem Schreiben vom 1. 9. 2016 an das Nachlassgericht die Anfechtung des Testaments von 1990. K bestreitet das Vorbringen der B nicht. Sie verweist aber darauf, dass jeder Elternteil nach der Versöhnung gegen das Testament von 1990 hätte vorgehen können, was er aber nicht getan habe. Das schließe auch eine Anfechtung durch B aus. K hat gegen B in zulässiger Weise Klage auf Feststellung erhoben, dass sie Alleinerbin nach ihrer verstorbenen Mutter geworden ist. Ist die Klage begründet?

Lösung

Die Klage ist begründet, wenn K Alleinerbin nach ihrer verstorbenen Mutter geworden ist.

I. Eine Erbeinsetzung könnte sich aus einem gemäß §§ 1937, 2265 BGB errichteten gemeinschaftlichen Testament ergeben.

1. Eheleute M und V haben im Jahre 1990 ein gemeinschaftliches Testament i. S. des § 2265 BGB errichtet und dabei ihre Erben bestimmt. Die hierfür erforderlichen Erklärungen haben sie entsprechend der Anforderung in § 2064 BGB persönlich abgegeben.

2. Nach der gewählten Form handelt es sich um ein eigenhändiges Testament (§ 2247 BGB). V hat das Testament eigenhändig geschrieben und unterschrieben und somit die Form des § 2247 BGB gewahrt. Bei M war ausreichend (§ 2267 BGB), dass sie das Testament mitunterzeichnet hat. Bedenken wegen der Testierfähigkeit von M und V (§ 2229 BGB) bestehen nicht.

3. Nach dem Inhalt des Testaments ist mit dem Tode des V, des Erstversterbenden, im Jahre 2004 M Alleinerbin nach V geworden. K sollte Alleinerbin des Letztversterbenden werden (vgl. § 2269 BGB). Letztversterbende war M. Folglich ist dem Testament zufolge K nach dem Tod ihrer Mutter im Jahre 2014 Alleinerbin geworden.

4. Dass ein Erbschein (§§ 2353 BGB) erteilt wurde, wonach K und B gesetzliche Erben je zur Hälfte sind, ändert daran nichts. Ein Erbschein hat keine konstitutive Wirkung, sondern löst nur die Vermutung seiner Richtigkeit aus (§ 2365 BGB) und ermöglicht einen gutgläubigen Erwerb im Vertrauen auf die Richtigkeit des Erbscheins (§ 2366 BGB). Dass ein unrichtiger Erbschein die Rechtslage nicht ändert, ergibt sich auch aus § 2362 BGB, wonach der wirkliche Erbe von dem Besitzer eines unrichtigen Erbscheins dessen Herausgabe verlangen kann. Wäre K, wie sie geltend macht, Alleinerbin geworden, könnte sie Herausgabe des erteilten Erbscheins von B verlangen.

II. Die Stellung der K als Alleinerbin aufgrund des Testaments von 1990 könnte durch Widerruf entfallen sein. Einen Widerruf könnte V in dem zweiten Testament von 1998 erklärt haben. Dieser würde zwar die Erbenstellung der K nicht unmittelbar entfallen lassen, weil die Erbenstellung der K auf der Erbeinsetzung durch ihre Mutter M als Letztversterbende beruht und nicht auf einer Erbeinsetzung durch V als Erstversterbenden. Ein wirksamer Widerruf der Erbeinsetzung durch V könnte aber nach § 2270 I BGB zur Unwirksamkeit der Verfügung der M führen (zu § 2270 I noch unten 2 a aa) und dadurch die Erbeinsetzung der K durch M entfallen lassen.

1. Nach § 2253 BGB kann ein Erblasser ein Testament sowie eine einzelne in einem Testament enthaltene Verfügung jederzeit und grundlos widerrufen. Der Widerruf erfolgt durch Testament (§ 2254 BGB). Hierfür genügt ein neues Testament, das mit dem früheren Testament in Widerspruch steht; soweit ein Widerspruch besteht, wird das frühere T estament aufgehoben (§ 2258 BGB). Legt man diese Vorschriften zugrunde, hat das Testament des V von 1998, da es lediglich eine Erbeinsetzung der M enthält und nicht mehr eine der K, die Erbeinsetzung der K im Testament von 1990 aufgehoben.

2. Der Wirksamkeit des Widerrufs durch das Testament von 1998 könnte aber entgegenstehen, dass nach § 2271 I BGB die Erbeinsetzung der K nur in der dort vorgeschriebenen Form hätte erfolgen dürfen.

a) Die Hauptbedeutung des gemeinschaftlichen Testaments besteht darin, dass bestimmte Verfügungen als wechselbezügliche Verfügungen nicht mehr nach §§ 2253 ff. BGB frei widerrufen werden können.

aa) Wechselbezügliche Verfügungen sind nach § 2270 I BGB „Ver fügungen…, von denen anzunehmen ist, dass die Verfügung des einen nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen sein würde.“ Nach BGH [22] bedeutet Wechselbezüglichkeit für die Ehegatten, dass ihre Verfügungen miteinander stehen oder fallen. Folglich hat die Nichtigkeit oder der Widerruf der einen Verfügung die Unwirksamkeit der anderen zur Folge (§ 2270 I BGB). Weiterhin ist zu Lebzeiten der Ehegatten ein Widerruf durch den einen nicht mehr ohne Kenntnis des anderen möglich ist (§ 2271 I BGB). Mit dem Tode des Erstversterbenden erlischt das Widerrufsrecht des Überlebenden grundsätzlich (§ 2271 II BGB), der Überlebende bleibt also an seine Verfügung gebunden.

bb) Wechselbezüglichkeit ist nach § 2270 II BGB „im Zweifel anzunehmen, wenn sich die Ehegatten gegenseitig bedenken oder wenn dem einen Ehegatten von dem anderen eine Zuwendung gemacht und für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zugunsten einer Person getroffen wird, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist…“ Beide Fälle treffen auf das Testament von 1990 zu: Die Ehegatten haben sich gegenseitig zum Erben eingesetzt. Weiterhin haben sie sich gegenseitig bedacht und die Tochter K, eine Verwandte in grader Linie, als Schlusserbin eingesetzt. Sie haben damit ihr gemeinsames Interesse daran deutlich gemacht, dass das Erbe letztlich der K zukommen sollte, und dies durch ihre Verfügungen umgesetzt. Also hat V mit der Erbeinsetzung der K eine Verfügung getroffen, die mit der Erbeinsetzung der K durch M wechselbezüglich war.

b) Nach § 2271 I BGB konnte diese Verfügung im Jahre 1998, da beide Ehegatten damals noch lebten, zwar widerrufen werden, aber nur nach der für den Rücktritt von einem Erbvertrag geltenden Vorschrift des § 2296 II BGB, also durch notariell beurkundete Erklärung des V gegenüber M. Diese Form wurde nicht gewahrt. Durch die neue Verfügung von Todes wegen im Jahre 1998 konnte die Erbeinsetzung der K nicht widerrufen werden (§ 2271 I 2 BGB). Folglich ist die Stellung der K als Alleinerbin durch Widerruf des Testaments nicht entfallen.

III. Zu einem Wegfall der Erbeinsetzung der K könnte die von B erklärte Anfechtung geführt haben. Dabei ist davon auszugehen, dass die Erklärungen der Eltern im Testament von 1990 den Inhalt hatten, K als Alleinerbin einzusetzen und B von der Erbschaft auszuschließen, wobei zwischen beiden Erklärungen ein Zusammenhang bestand. Eine solche Verfügung haben sowohl M als auch V getroffen; folglich kommt jede dieser Verfügungen als Gegenstand einer Anfechtung in Betracht. Ist eine Verfügung anfechtbar und wurde sie erfolgreich angefochten, ist sie nichtig (§ 142 I BGB).

1. Da die Stellung der K als Alleinerbin auf dem Testament der M und dem Erbfall im Jahre 2014 beruht (oben II), kommt zunächst eine Anfechtung der von M erklärten letztwilligen Verfügung im Testament von 1990 in Betracht.

a) Die Anfechtbarkeit von letztwilligen Verfügungen ist in §§ 2078 - 2083 BGB geregelt (hierzu Löhnig JA 2016, 801). Nach § 2080 I BGB ist zur Anfechtung berechtigt, wem die Aufhebung der letztwilligen Verfügung unmittelbar zustatten kommen würde. Wäre wegen Wegfalls des Testaments von 1990 K nicht Alleinerbin und B nicht enterbt, wäre B zur Hälfte gesetzliche Erbin (§ 1924 I BGB), ist also anfechtungsberechtigt.

b) Ein Anfechtungsgrund könnte sich aus § 2078 BGB ergeben. Absatz 1 enthält eine mit § 119 I BGB vergleichbare Regelung, kommt im vorliegenden Fall aber nicht in Betracht. Nach § 2078 II BGB ist eine Verfügung auch anfechtbar, „soweit der Erblasser zu der Verfügung durch die irrige Annahme oder Erwartung des Eintritts oder Nichteintritts eines Umstands…bestimmt worden ist“. Anders als bei § 119 BGB reicht also ein Motivirrtum aus.

aa) Nach dem von B dargestellten und von K nicht bestrittenen Sachverhalt war Grund für die Enterbung der B und die alleinige Erbeinsetzung der K der Ärger der M (und des V) darüber, dass B entgegen dem Wunsch der Eltern Sozialpädagogik statt Medizin studiert und ihre Eltern außerdem auf Unterhaltsleistung verklagt hat. Mit der Enterbung wollten die Eltern ihrer Tochter B als Folge für ihr missbilligtes Verhalten einen Nachteil zufügen. Der in einer Enterbung liegende Nachteil konnte erst beim Tode des Letztversterbenden eintreten. Also sind M und V davon ausgegangen, dass ihre Verärgerung noch bei Eintritt des Erbfalls andauert. Das war aber wegen der bereits ein Jahr später erfolgten Versöhnung nicht der Fall, so dass sie insoweit einem Irrtum unterlagen. M und V wurden also zu ihrer Verfügung durch die Erwartung eines andauernden Zerwürfnisses und einer nicht erfolgenden Versöhnung bestimmt, was als Nichteintritt des Umstands Versöhnung zu beurteilen ist und sich als irrig erwiesen hat. Der Verfügung lag das Motiv zugrunde, B für ihre Unbotmäßigkeit auch noch im Todesfall der Eltern „bestrafen“ zu wollen, erwies sich aber wegen der baldigen Versöhnung als unzutreffend.

bb) Bei Kenntnis der späteren Versöhnung und dem damit verbundenen Wegfall des Bedürfnisses für eine Nachteilszufügung gegenüber B hätte M ihre Tochter nicht enterbt, zumal ein anderer Grund als der aufgezeigte für dieses ungewöhnliche Verhalten gegenüber einem Kind nicht ersichtlich ist. Ohne Enterbung der B konnte M aber auch ihre Tochter K nicht als Alleinerbin einsetzen. Somit ist ein Anfechtungsgrund nach § 2078 II BGB sowohl für die Enterbung der B als auch für die Erbeinsetzung der K zu bejahen.

c) Der Anfechtbarkeit des Testaments durch B könnte entgegenstehen, dass auch M ein Anfechtungsrecht hatte, davon aber keinen Gebrauch gemacht hat und dass dadurch auch das Anfechtungsrecht der B verloren gegangen ist.

aa) Beim gemeinschaftlichen Testament besteht das Bedürfnis, dass der Verfügende im Falle eines relevanten Irrtums sich aus den in § 2271 BGB enthaltenen Beschränkungen befreien kann. Beim Erbvertrag hat der Gesetzgeber diesem Bedürfnis dadurch Rechnung getragen, dass § 2281 I BGB auch dem Erblasser das Recht einräumt, den Erbvertrag nach §§ 2078, 2079 BGB anzufechten (Selbstanfechtung im Unterschied zur Drittanfechtung des § 2080 BGB). Für wechselbezügliche Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament hat das BGB keine dahin gehende Regelung getroffen, obwohl die Interessenlage wegen der in beiden Fällen bestehenden Bindung an Verfügungen, die nicht dem Willen des Erblassers entsprechen, gleich ist. Beim gemeinschaftlichen Testament besteht also eine planwidrige Gesetzeslücke, die durch analoge Anwendung des § 2281 I BGB zu schließen ist. BGH [12] Die entsprechende Anwendung folgt aus der engen Verwandtschaft und völligen Gleichheit der Rechtslage, die gegenüber dem durch Erbvertrag gebundenen Erblasser und dem überlebenden Ehegatten besteht… Das Recht zum Widerruf einer wechselbezüglichen Verfügung erlischt gemäß § 2271 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 BGB mit dem Tod des anderen Ehegatten, so dass der überlebende Ehegatte von diesem Zeitpunkt an wie der Erblasser beim Erbvertrag grundsätzlich an seine Verfügung gebunden ist. Bei [16] bestätigt der BGH das Selbstanfechtungsrecht, das dem Erblasser beim Erbvertrag gemäß § 2281 BGB und in entsprechender Anwendung auch dem überlebenden Ehegatten beim gemeinschaftlichen Testament (BGH, FamRZ 1970, 79 unter I 1; BGHZ 37, 331 unter 1) hinsichtlich seiner vertragsmäßigen bzw. wechselbezüglichen Verfügungen zusteht. Folglich hätte M, soweit sie an ihre mit der Erbeinsetzung durch V wechselbezügliche Verfügung gebunden war, diese Verfügung wegen ihres Irrtums i. S. des § 2078 II BGB anfechten können.

Dann ist aber auch § 2285 BGB analog anwendbar. Danach ist eine Drittanfechtung ausgeschlossen, wenn das Selbstanfechtungsrecht des Erblassers zur Zeit des Erbfalls erloschen ist. BGH [12] Die erbvertragliche Vorschrift des § 2285 BGB ist auf die wechselbezüglichen Verfügungen des letztverstorbenen Ehegatten im gemeinschaftlichen Testament entsprechend anwendbar (BGH vom 15. 6. 2010 IV ZR 21/09, ZEV 2010, 364 Rn. 7; FamRZ 1985, 1123 unter IV 2;…). BGH [18] Wenn sich der gebundene Erblasser durch Bestätigung seiner Verfügung oder Verstreichenlassen der Anfechtungsfrist dafür entscheidet, die anfechtbare Verfügung trotz Kenntnis des Anfechtungsgrundes gelten zu lassen, sollen an diese Entscheidung auch seine (potentiellen) Erben gebunden sein und nicht auf Grund eines eigenen Anfechtungsrechts eine dem Willen des Erblassers nicht entsprechende Korrektur seiner Nachlassregelung vornehmen können (MünchKomm-BGB/Musielak, 6. Aufl., § 2285 Rn. 1…).

bb) In Anwendung des § 2285 BGB analog war das Selbstanfechtungsrecht der M wegen des Ablaufs der Jahresfrist (§ 2082 oder § 2283) erloschen. BGH [12] Im vorliegenden Fall war die Jahresfrist des § 2283 Abs. 1 BGB für eine Selbstanfechtung durch die Mutter zur Zeit des Erbfalls bereits abgelaufen, da sie…den Motivirrtum als Anfechtungsgrund bei ihrer Versöhnung mit der Tochter B etwa ein Jahr nach Verfassen des gemeinschaftlichen Testaments erkannt hatte, so dass die Anfechtungsfrist mit dem Tod des Vaters im Jahr 2004 als frühestmöglichem Anfechtungszeitpunkt zu laufen begonnen hatte. Spätestens Ende 2005 war die Frist abgelaufen.

Somit erweist sich der Vortrag der K als zutreffend, wonach M von der Möglichkeit, gegen das Testament von 1990 vorzugehen, keinen Gebrauch gemacht hat und dadurch auch eine Anfechtung durch B ausgeschlossen ist (analog §§ 2281, 2285, 2283 BGB). Durch Anfechtung der Verfügung der M entfällt die Stellung der K als Alleinerbin nicht.

2. Eine Anfechtung der Enterbung der B und der Erbeinsetzung der K durch den Vater V könnte zur Nichtigkeit von dessen Verfügung und gemäß § 2270 I BGB zur Unwirksamkeit der entsprechenden Verfügung der M führen.

a) Was die Anfechtungsberechtigung der B und den Anfechtungsgrund des § 2078 II BGB betrifft, gelten auch hier die Ausführungen oben 1 a und b). Denn auch V wurde durch die irrige Annahme, das Zerwürfnis zwischen den Eltern und der B werde andauern, zu der letztwilligen Verfügung bewogen. Bei V ergibt sich ein zusätzliches Indiz dafür, dass nach der Versöhnung kein Grund mehr für die Enterbung der B bestand, aus dem Testament von 1998, in dem von der Enterbung der B und der Einsetzung der K als alleiniger Erbin nicht mehr die Rede war.

b) Auch die Anfechtbarkeit der Verfügung des V könnte analog §§ 2281, 2285, 2283 BGB ausgeschlossen sein. Insoweit kann nicht ohne weiteres auf die Überlegungen oben 1 c) verwiesen werden, weil beim gemeinschaftlichen Testament die Erbfälle des Erstversterbenden und des Letztversterbenden zu unterscheiden sind. Oben 1 c) wurde die analoge Anwendung dieser Vorschriften in dem Fall bejaht, in dem die Verfügung der M, der Letztversterbenden, angefochten wurde. Nunmehr geht es um die Verfügung des V, des Erstversterbenden. Um auch in diesem Fall die Vorschriften aus dem Erbvertragsrecht anwenden zu können, müsste auch hier die Interessenlage gleich sein.

aa) Wesentlich für die Interessenlage beim Letztversterbenden war dessen beim Tod des Erstversterbenden eintretende Bindung (§ 2271 II BGB). Eine solche Bindung tritt beim Erstversterbenden aber nicht ein, so dass beide Fälle nicht vergleichbar sind. BGH [15-22] Die herrschende Meinung in der Literatur geht davon aus, dass § 2285 BGB auf die Anfechtung von wechselbezüglichen Verfügungen des erstversterbenden Ehegatten durch Dritte vor oder nach dem Tod des Überlebenden nicht entsprechend angewendet werden kann, weil dem erstversterbenden Ehegatten selbst kein Anfechtungsrecht, sondern ein Widerrufsrecht hinsichtlich seiner wechselbezüglichen Verfügungen zusteht (folgen ausführliche Nachw.). Diese Ansicht ist zutreffend… Während, wie ausgeführt, der Letztversterbende der Bindung aus § 2271 II BGB unterliegt, ist der erstversterbende Ehegatte beim gemeinschaftlichen Testament nicht an seine wechselbezüglichen Verfügungen gebunden… Zu Lebzeiten beider Ehegatten kann jeder von ihnen seine wechselbezüglichen Verfügungen gemäß § 2271 Abs. 1 BGB widerrufen und hat dabei nur die Vorschriften über Form und Zugang der Widerrufserklärung nach § 2271 Abs. 1 Satz 1 BGB i. V .m. § 2296 BGB zu beachten. Anders als die Anfechtung erfordert der Widerruf weder einen Grund noch besteht für ihn eine dem § 2283 Abs. 1 BGB vergleichbare Frist. Somit benötigt der als Erster versterbende Ehegatte kein Anfechtungsrecht nach § 2281 BGB, so dass auch für eine Anwendung des § 2285 BGB kein Grund besteht.

bb) Dem entspricht, dass der in § 2285 BGB erfasste Fall, dass das Anfechtungsrecht des Erblassers erloschen ist, nicht eintreten kann, weil der Erstversterbende kein Anfechtungsrecht hatte. Eine Übertragung auf das Widerrufsrecht ist nicht möglich, weil es für dessen Ausübung keine Frist gibt, so dass dieses nicht vor dem Tode des Erstversterbenden erlöschen kann.

Die Anfechtbarkeit der Verfügung des V ist daher nicht analog § 2285 BGB ausgeschlossen.

c) Im Originalfall hatte das BerGer. angenommen (vgl. BGH [24]), die Eltern hätten durch die Beibehaltung des Testaments eine Bestätigung vorgenommen oder der Motivirrtum sei nicht kausal für ihre Verfügung gewesen. BGH: Zwar kann ein bewusstes Bestehenlassen der letztwilligen Verfügung dafür sprechen, dass der behauptete Irrtum nicht ursächlich für die Verfügung war oder sie jedenfalls zur Zeit des Erbfalles dem Willen des Erblassers entsprach und eine Anfechtung daher ausgeschlossen ist (…). Dies setzt aber voraus, dass der Erblasser die Verfügung tatsächlich bewusst beibehält, sich also im Wissen um den Inhalt dieser Verfügung und in Kenntnis des Irrtums dafür entscheidet, daran festzuhalten, und er nicht nur aus Nachlässigkeit, Passivität oder aus sonstigen Gründen eine Abänderung unterlässt… Dahingehende Tatsachenfeststellungen hatte das BerGer. nicht getroffen. Ohne solche Feststellungen zum Willen des Erblassers kann allein aus dem Umstand, dass das Testament weiter existierte, nicht geschlossen werden, der Erblasser habe das Testament bestätigt oder der behauptete Motivirrtum sei nicht kausal für seine Verfügung gewesen. Nach dem dieser Fallbearbeitung vorgegebenen Sachverhalt bestand erst recht kein Grund, Überlegungen zu einer fehlenden Ursächlichkeit oder zu einer Bestätigung anzustellen.

d) B hat die Anfechtung, wie von § 2081 I BGB gefordert, dem Nachlassgericht gegenüber erklärt. Sie hat auch die Jahresfrist des § 2082 BGB gewahrt. Diese begann mit Kenntnis des Anfechtungsgrundes. Für den Anfechtungsgrund war die Kenntnis des Testaments von 1990, das angefochten werden sollte, wesentlich. Dieses Testament hat K erst 2016 gefunden, also hat auch B erst nach diesem Zeitpunkt davon Kenntnis erlangt. Im Zeitpunkt des Schreibens vom 1. 9. 2016 war die Jahresfrist noch nicht abgelaufen.

e) B hat somit die letztwillige Verfügung des V im Testament von 1990 wirksam angefochten. Sowohl die Erbeinsetzung der K als auch ihre Enterbung sind nichtig (§ 142 I BGB). Folglich ist nach § 2270 I BGB auch die Erbeinsetzung der K durch M nichtig (so auch Löhnig JA 2016, 788, 790 in einer zustimmenden Besprechung der BGH-Entscheidung). Es ist die gesetzliche Erbfolge eingetreten, nach der K und B Erben je zur Hälfte sind (§ 1924 I BGB). Die Klage der K auf Feststellung, dass sie Alleinerbin nach ihrer verstorbenen Mutter geworden ist, ist unbegründet.


Zusammenfassung