Bearbeiter: Prof. Dieter Schmalz

Verfassungsbeschwerde gegen privatrechtliche Gerichtsentscheidung; Verpflichtung zur Auskunftserteilung nach §§ 1607, 242, 1353 I BGB. Drittwirkung der Grundrechte. Allgemeines Persönlichkeitsrecht, Art. 2 I, 1 I GG; Schutz der Privat- und Intimsphäre. Verfassungsrechtliche Grenzen einer Rechtsfortbildung. Abwägung zwischen Persönlichkeitsrecht und Regressinteresse


BVerfG
Beschluss vom 24. 2. 2015 (1 BvR 472/14) NJW 2015, 1506

Fall
(Auskunft über Sexualpartner)

Die damals 20-jährige B führte mit M eine sexuelle Beziehung. Sie wurde schwanger und gebar eine Tochter, die aber nicht aus der Beziehung mit M stammte. Ein halbes Jahr später wurde B erneut schwanger. B und M gingen davon aus, dass die Schwangerschaft eine Folge ihrer Beziehung war, ohne dass aber darüber gesprochen wurde. B erwähnte auch nicht, dass sie einmal Sexualverkehr mit einem anderen Mann hatte und dass das zweite Kind möglicherweise aus diesem Kontakt stammte. B und M schlossen wegen des erwarteten Kindes die Ehe. Danach wurde die Tochter T ehelich geboren. Vier Jahre später, als T größer wurde und kaum Ähnlichkeit mit M hatte, bekam B Zweifel an der Vaterschaft des M und machte diesem davon Mitteilung. Nach Scheidung der Ehe zwischen B und M stellte M beim zuständigen Familiengericht den Antrag auf Anfechtung seiner Vaterschaft. Das Familiengericht gab dem Antrag statt und stellte fest, dass M nicht der leibliche Vater der T ist.

M beabsichtigt, beim - ihm nicht bekannten - wirklichen Vater der T Regress wegen des von ihm an T geleisteten Unterhalts zu nehmen, und verlangt von B Auskunft darüber, mit wem sie in der Empfängniszeit für T Sexualverkehr gehabt hat. Als B das verweigerte, stellte M beim zuständigen Gericht den Antrag gegen B auf Verpflichtung zur Erteilung der Auskunft. Das Amtsgericht als Familiengericht und in zweiter Instanz das OLG gaben dem Antrag statt. Der Beschluss des OLG stützte sich auf die Rechtsprechung des BGH (BGHZ 191, 259; 196, 207; NJW 2014, 2571). Danach ist nach

Treu und Glauben ein Auskunftsanspruch anzuerkennen, wenn zwischen den Parteien Rechtsbeziehungen bestehen, der Anspruchsteller zur Durchsetzung seiner Rechte auf die Auskunft angewiesen ist, er die für die Durchsetzung des Rechts nötigen Kenntnisse nicht hat und der andere Teil unschwer die zur Beseitigung dieser Ungewissheit erforderliche Auskunft erteilen kann. Diese Voraussetzungen seien in solchem Fall erfüllt: Rechtsbeziehung sei die Ehe und ihre Nachwirkungen. M benötige die Auskunft, um seinen Regressanspruch aus § 1607 III BGB gegen den wirklichen Vater durchzusetzen. Der Auskunftsanspruch ergebe sich somit aus §§ 242, 1353 I BGB. Zwar werde B dadurch in ihrem Persönlichkeitsrecht betroffen. Da jedoch die außereheliche Zeugung des Kindes aufgrund der Vaterschaftsanfechtung feststehe, habe die Mutter kein überwiegendes Geheimhaltungsinteresse mehr. Auch dass B den M über die mögliche Vaterschaft eines anderen Mannes nicht rechtzeitig aufgeklärt hat, führe dazu, dass das Interesse des M an der Geltendmachung seines Regressanspruchs überwiege. Gegen den Beschluss des OLG ist ein weiterer Rechtsbehelf nicht zulässig. B hat gegen den Beschluss formell fehlerfrei Verfassungsbeschwerde beim BVerfG erhoben und diese damit begründet, die Auskunftsverpflichtung verletze sie in ihrem Persönlichkeitsrecht. Hat die VfB Erfolg?

A. Zulässigkeit der VfB

I. Beschwerdegegenstand der VfB muss ein Akt der öffentlichen Gewalt (§ 90 I BVerfGG) sein, besser bezeichnet als Hoheitsakt. Ergangene Hoheitsakte sind im vorliegenden Fall die Beschlüsse von Amtsgericht und OLG. Dabei reicht es aus, den Beschluss des OLG anzugreifen, durch den B zur Auskunft verpflichtet wurde. Da dieser sich wesentlich auf Entscheidungen des BGH stützt, steht mittelbar und sachlich maßgeblich die Rechtsprechung des BGH zur Prüfung an.

II. B muss geltend machen, in einem Grundrecht verletzt zu sein (§ 90 I BVerfGG). B macht geltend, sie werde in ihrem Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 I, 1 I GG verletzt. Da eine solche Verletzung möglich ist, ist B beschwerdebefugt.

III. Da gegen den Beschluss des OLG ein weiterer Rechtsbehelf nicht zulässig ist, hat B den Rechtsweg ausgeschöpft (§ 90 II 1 BVerfGG). Auch steht die Subsidiarität der VfB ihrer Zulässigkeit nicht entgegen, weil anzunehmen ist, dass B sich im Verfahren vor dem Amtsgericht und dem OLG auf ihr Persönlichkeitsrecht berufen hat.


IV. Die Erhebung der VfB ist formell fehlerfrei erfolgt. Die VfB ist zulässig.

B. Begründetheit der VfB

I. B könnte durch den Beschluss des OLG in ihrem Grundrecht aus Art. 2 I, 1 I GG (Schutz der Persönlichkeit) verletzt sein. Zunächst ist zu klären, ob und in welcher Ausprägung dieses Grundrecht anwendbar ist.

1. Für die Anwendbarkeit von Grundrechten reicht nicht aus, dass nach Art. 1 III GG auch die (Zivil-) Gerichte an die Grundrechte gebunden sind. Denn das betrifft zunächst nur das eigene Verfahren des Gerichts, z. B. wie mit den Parteien umgegangen wird, ob ihnen rechtliches Gehör gewährt wird. Demgegenüber betrifft die Frage, ob B gegenüber M zur Auskunft verpflichtet ist, die Rechtsbeziehungen zwischen M und B, die sich nach Privatrecht richten. Private sind aber in ihrem Verhältnis zueinander nicht an die Grundrechte gebunden. Daran ändert sich nichts dadurch, dass der Streit an ein Gericht gelangt (BVerfGE 73, 261, 268/9). Denn ein Gericht hat die Grundrechte anzuwenden, soweit sie gelten; sie gelten nicht schon deshalb, weil ein Gericht entscheidet.

Nach der herrschenden Lehre von der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht wirken die Grundrechte über die Generalklauseln und sonstigen auslegungsfähigen und auslegungsbedürftigen Begriffe des Privatrechts auf diese ein. Die Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffe sind im Sinne des Rechtsgehalts der Grundrechte auszulegen und anzuwenden (BVerfGE 7,198, Lüth, LS 2; ferner 73,261,269; st. Rspr.). Im vorliegenden Fall, in dem das BVerfG diese Frage nicht mehr angesprochen hat, haben die Zivilgerichte den Anspruch auf § 242 BGB und § 1353 I BGB gestützt; beides sind Generalklauseln, bei deren Auslegung und Anwendung das Grundrecht auf Schutz der Persönlichkeit einzubeziehen ist. Das Grundrecht ist also verletzt, wenn das OLG bei der Auslegung und Anwendung der §§ 242, 1353 I BGB Art. 2 I, 1 I GG nicht entsprechend dessen Gehalt berücksichtigt hat.

2. Art. 2 I, 1 I GG schützt - neben der allgemeinen Handlungsfreiheit - die Persönlichkeit.

a) Als Grundrecht zum Schutz der Persönlichkeit hat Art. 2 I, 1 I GG verschiedene Ausprägungen: Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt die persönliche Ehre, die Rechte am eigenen Bild und am gesprochenen Wort, die Intim- und Privatsphäre sowie den sozialen Geltungsanspruch (zum letzteren BVerfG NJW 2011, 511). Eine speziellere Ausprägung ist das Recht auf informelle Selbstbestimmung, nach dem der Einzelne selbst über die Erhebung und Verwendung seiner persönlichen Daten entscheiden darf (BVerfGE 65, 1, 43; 84, 192, 194). Eine dritte Ausprägung schützt die Vertraulichkeit und Integrität eines informationstechnischen Systems (BVerfGE 120, 274; IT-Grundrecht, „Recht an der eigenen Festplatte“).

b) Da im vorliegenden Fall das Problem nicht beim Datenschutz liegt, sondern bei der Frage, ob B zu einer Auskunft über ihre persönlichen Verhältnisse gezwungen werden kann, kommt Art. 2 I, 1 II als allgemeines Persönlichkeitsrecht zur Anwendung.

II. Für eine Verletzung des Grundrechts ist erforderlich, dass der Beschluss des OLG einen Eingriff in den Schutzbereich des Persönlichkeitsrechts enthält.

1. BVerfG [29] Das aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG folgende allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt mit der Privat- und Intimsphäre der Einzelnen auch Aspekte des Geschlechtslebens und das Interesse, diese nicht offenbaren zu müssen. Der Schutz der Privat- und Intimsphäreumfasst Angelegenheiten, die wegen ihres Informationsinhalts typischerweise als „privat“ eingestuft werden, insbesondereweil ihre öffentliche Erörterung oder Zurschaustellung als unschicklich gilt, das Bekanntwerden als peinlich empfunden wird oder nachteilige Reaktionen der Umwelt auslöst, wie es gerade auch im Bereich der Sexualität der Fall ist… Mit dem Recht auf Achtung der Privat- und Intimsphäre spezifisch geschützt ist das Recht, geschlechtliche Beziehungen zu einem Partner nicht offenbaren zu müssen, sondern selbst darüber befinden zu können, ob, in welcher Form und wem Einblick in die Intimsphäre und das eigene Geschlechtsleben gewährt wird (vgl. BVerfGE 117, 202, 233 m. w. N.). Somit fällt die Auskunftserteilung über den Sexualpartner unter den Schutzbereich des Art. 2 I, 1 I GG.

2. Da der Beschluss des OLG B zu dieser Auskunft verpflichtet hat, enthält er einen Eingriff in das Grundrecht. BVerfG [28] Die Bf. erleidet durch die Verpflichtung zur Auskunftserteilung eine schwerwiegende Beeinträchtigung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Durch die Verpflichtung, über die Person des mutmaßlichen leiblichen Vaters Auskunft zu erteilen, wird sie gezwungen, eine geschlechtliche Beziehung zu einem bestimmten Mann oder zu mehreren bestimmten Männern preiszugeben. Für die meisten Menschen dürfte es wenige Vorgänge von größerer Intimität geben, deren Geheimhaltung ihnen um ihrer persönlichen Integrität willen wichtiger wäre als ihre geschlechtlichen Beziehungen.

III. Der Eingriff könnte gerechtfertigt sein.

1. Da das Persönlichkeitsrecht primär auf Art. 2 I GG gestützt wird, unterliegt es auch der Schranke der verfassungsmäßigen Ordnung, die als verfassungsmäßige Rechtsordnung verstanden wird und jede verfassungsmäßige Rechtsnorm umfasst. Im Flughafen-Fall BVerfGE 128, 226, 257 hat das BVerfG anerkannt, dass auch privatrechtliche Vorschriften grundrechtsbeschränkende Wirkung haben können. Im vorliegenden Fall könnten also §§ 242, 1353 I BGB das Persönlichkeitsrecht der V beschränken.

2. Allerdings überprüft das BVerfG in solch einer Urteils-Verfassungsbeschwerde die Anwendung des einfachen Rechts, insbesondere des Privatrechts, nicht unbeschränkt, sondern nur auf spezifische Verfassungsverletzungen hin. Zu diesen gehört, wenn das Fachgericht den grundrechtlichen Einfluss überhaupt nicht berücksichtigt, wenn es ei ne grundsätzlich unrichtige Anschauung von der Bedeutung des Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, erkennen lässt oder wenn es in anderer Weise den Einfluss des Grundrechts unzutreffend einschätzt (BVerfGE 89, 1, 9 f.; 95, 28, 37; 97, 391, 401; 112, 332, 358 f.). Eine genauere Bestimmung dessen, was eine spezifische Verfassungsverletzung ist, erfolgt im Zusammenhang mit der Anwendung des konkreten Grundrechts, im vorliegenden Fall also bei der Anwendung des Art. 2 I, 1 I GG.

3. Mit den normalen Auslegungsmethoden Wortlaut, Systematik, Entstehungsgeschichte und Gesetzeszweck lässt sich den §§ 242, 1353 I BGB kein Anspruch auf Auskunft des Sexualpartners entnehmen. Vielmehr haben die Zivilgerichte, insbesondere der BGH, diesen im Wege der Rechtsfortbildung entwickelt. Dabei mussten sie die verfassungsrechtlichen Grenzen für eine Rechtsfortbildung beachten. Werden diese missachtet, liegt eine Grundrechtsverletzung in Form der spezifischen Verfassungsverletzung vor.

a) Der Anlass für die Rechtsfortbildung wird von BVerfG [2, 3] wie folgt dargestellt: Die erfolgreiche Anfechtung der Vaterschaft (§§ 1599 ff. BGB) führt zu deren rückwirkender Beseitigung. Ebenfalls rückwirkend entfallen damit die Unterhaltsansprüche des Kindes gegen den rechtlichen Vater. In dem Umfang, in dem dieser bis dahin tatsächlich Unterhalt geleistet hat, gehen die Unterhaltsansprüche des Kindes gegen den leiblichen Vater auf den ehemals rechtlichen Vater über (§ 1607 Abs. 3 Satz 1 und 2 BGB)… Zur Geltendmachung des Regressanspruchs nach § 1607 Abs. 3 Satz 1 und 2 BGB ist der Scheinvater auf die Kenntnis der Person des leiblichen Vaters angewiesen. Fehlt ihm diese Kenntnis, stellt sich die Frage, ob er von der Mutter Auskunft darüber verlangen kann, wer als mutmaßlich leiblicher Vater in Betracht kommt.

b) BVerfG [38, 39] Die Zivilgerichte leiten den geltend gemachten Auskunftsanspruch aus § 242 BGB ab … Gegen die gerichtliche Begründung von Auskunftsansprüchen in Sonderverbindungen aufgrund der Generalklausel des § 242 BGB ist verfassungsrechtlich im Grundsatz nichts einzuwenden. Schöpferische Rechtsfindung durch gerichtliche Rechtsauslegung und Rechtsfortbildung ist praktisch unentbehrlich und wird vom BVerfG seit jeher anerkannt (vgl. BVerfGE 34, 269, 287 f.; 49, 304, 318;…132, 99, 127 Rn. 74). Dass der Gesetzgeber den Zivilgerichten mit den Generalklauseln des Privatrechts besonders weite Möglichkeiten der Rechtsfortbildung verschafft, ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Aus verfassungsrechtlicher Sicht bieten die privatrechtlichen Generalklauseln den Zivilgerichten nicht zuletzt die Möglichkeit, die Schutzgebote der Grundrechte zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfGE 97, 169, 178; st. Rspr.)…

c) [40-48] Die gerichtliche Rechtsfortbildung stößt jedoch an verfassungsrechtliche Grenzen.

aa) Solche ergeben sich auch aus den Grundrechten. Sie müssen von Fall zu Fall bestimmt werden und kommen auch bei richterlicher Rechtsfortbildung aufgrund von Generalklauseln des Privatrechts zum Tragen. Soweit die vom Gericht im Wege der Rechtsfortbildung gewählte Lösung dazu dient, der Verfassung, insbesondere verfassungsmäßigen Rechten des Einzelnen, zum Durchbruch zu verhelfen, sind die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung weiter, da insoweit eine auch den Gesetzgeber treffende Vorgabe der höherrangigen Verfassung konkretisiert wird (…). Umgekehrt sind die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung bei einer Verschlechterung der rechtlichen Situation des Einzelnen enger gesteckt (… ) ; die Rechtsfindung muss sich umso stärker auf die Umsetzung bereits bestehender Vorgaben des einfachen Gesetzesrechts beschränken, je schwerer die beeinträchtigte Rechtsposition verfassungsrechtlich wiegt.

bb) Die mit der Auskunftsverpflichtung einhergehende Grundrechtsbeeinträchtigung der Bf. wiegt schwer (s.o. II 2). Darüber hinaus beeinträchtigt die Verpflichtung der Bf. zur Auskunftserteilung mittelbar das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Familienleben eines zu benennenden Mannes.

cc) Dem steht hier allein das Interesse des Scheinvaters an einer Stärkung der Durchsetzungsfähigkeit seines einfachgesetzlichen Regressanspruchs gegenüber. Dass der Gesetzgeber den Regressanspruch durchsetzungsschwach ausgestaltet hat, indem er es unterlassen hat, diesen durch einen entsprechenden Auskunftsanspruch zu flankieren, bedarf von Verfassungs wegen nicht der Korrektur. Der Gesetzgeber war verfassungsrechtlich nicht gezwungen, einen durchsetzungsstärkeren Regressanspruch zu schaffen. Wie das Interesse der Mutter an der Geheimhaltung intimer Daten ihres Geschlechtslebens einerseits und das finanzielle Regressinteresse des Scheinvaters andererseits zum Ausgleich gebracht werden, liegt im Ausgestaltungsspielraum des Privatrechtsgesetzgebers (…). Dieser hat keinen Auskunftsanspruch geschaffen. Folglich können die Gerichte die Verpflichtung einer Mutter, zur Durchsetzung des Regressanspruchs aus § 1607 Abs. 3 Satz 2 BGB Auskunft über frühere Geschlechtspartner zu erteilen, nicht allein auf die Generalklausel des § 242 BGB stützen.

d) BVerfG [48-52] Vielmehr setzt die gerichtliche Verpflichtung einer Mutter zur Preisgabe des Partners oder der Partner geschlechtlicher Beziehungen konkretere gesetzliche Anknüpfungspunkte voraus, aus denen sich ablesen lässt, dass eine Mutter zur Auskunftserteilung der fraglichen Art verpflichtet ist. Solche Anknüpfungspunkte finden sich hier nicht.

aa) Die in § 1605 BGB getroffene Regelung von Auskunftsansprüchen im Unterhaltsrecht deutet im Gegenteil darauf hin, dass zur Durchsetzung des Unterhaltsregressanspruchs keine Auskunftspflicht bestehen soll. In § 1605 BGB ist die Verpflichtung Verwandter geregelt, einander erforderlichenfalls über ihre Einkünfte und ihr Vermögen Auskunft zu erteilen. Eine Verpflichtung der Mutter, Auskunft über geschlechtliche Beziehungen zu einem Partner zu erteilen, findet sich hingegen nicht….

bb) Der Anspruchsregelung in § 1607 Abs. 3 BGB selbst kann der erforderliche Anknüpfungspunkt nicht entnommen werden… Ein Schluss von der gesetzlichen Einräumung eines materiellrechtlichen Anspruchs auf die Ermächtigung zur Nutzung der notwendigen Mittel zu seiner Durchsetzung ist jedenfalls hier unzulässig, weil die Durchsetzung nur durch die gerichtliche Verpflichtung der Auskunftsverpflichteten zur Preisgabe intimer Daten aus der Privatsphäre erreicht werden kann. Hinzu kommt, dass die auskunftsverpflichtete Person hier nicht einmal selbst Anspruchsgegnerin des durchzusetzenden materiellen Hauptanspruchs ist. Der gesetzliche Regressanspruch des Scheinvaters läuft ohne flankierenden Auskunftsanspruch auch nicht faktisch leer. Er bleibt…durchsetzbar, wenn etwa der Scheinvater ohnehin von der Person des tatsächlichen Vaters Kenntnis hat oder von ihm aufgrund einer freiwilligen Information durch die Kindesmutter erfährt.

cc) Schließlich bietet auch die eherechtliche Generalklausel des § 1353 Abs. 1 BGB keinen hinreichend konkreten Anhaltspunkt für eine Auskunftsverpflichtung der Mutter. Auch die angegriffenen Entscheidungen beziehen sich auf § 1353 Abs. 1 BGB lediglich, um die Existenz einer in § 242 BGB vorausgesetzten rechtlichen Sonderverbindung zwischen B und M zu begründen.

e) Mangels gesetzlicher Anknüpfungspunkte können die Gerichte also…einen der Durchsetzung des Unterhaltsregresses dienenden Auskunftsanspruch eines Scheinvaters gegen die Mutter generell nicht aus § 242 BGB herleiten. Soll der Regressanspruch des Scheinvaters gestärkt werden, müsste der Gesetzgeber tätig werden.

Hinweis: Während die hier behandelte Entscheidung des BVerfG der Rechtsfortbildung durch die Fachgerichte Grenzen setzt, hat BVerfG NVwZ 2015, 510 (= JuS 2015, 472) die Grenzen für eine verfassungskonforme Auslegung gezogen und dem BGH vorgeworfen, diese Grenze im dort zugrunde liegenden Fall verletzt zu haben. LS 2 lautet: Ein Fachgericht, das entgegen Art. 100 I GG die Vorlage zur Normenkontrolle an das BVerfG unterlässt, weil es in nicht vertretbarer Weise die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung des betreffenden Gesetzes annimmt, verletzt die Garantie des gesetzlichen Richters (Art. 101 I 2 GG).

4. Ergebnis zu I-III: Im hier zu entscheidenden Fall rechtfertigen §§ 242, 1353 I BGB den Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der B nicht. Da eine andere Rechtfertigung nicht ersichtlich ist, ist der Eingriff nicht gerechtfertigt, das Grundrecht der B ist verletzt.

IV. Art. 2 I, 1 I GG könnte zusätzlich verletzt sein, selbst wenn der von den Zivilgerichten angenommenen Möglichkeit gefolgt wird, dass §§ 242, 1353 I BGB grundsätzlich zur Begründung eines Auskunftsanspruchs geeignet sind.

1. Da §§ 242, 1353 I BGB eine Generalklausel für einen Auskunftsanspruch enthält, müssen nach den Grundsätzen zur Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht (oben B I 1) bei ihrer Auslegung und Anwendung im Einzelfall das betroffene Grundrecht in Abwägung mit dem gegenläufigen Interesse entsprechend seinem Gewicht und seiner Bedeutung berücksichtigt werden. Dass das durch das Persönlichkeitsrecht geschützte Geheimhaltungsinteresse der B ein hohes Gewicht hat, wurde bereits oben B II 1, 2 ausgeführt.

2. Dem steht das Interesse des Scheinvaters an der Durchsetzung seines Regressanspruchs gegenüber.

a) BVerfG [33] Dem Regressinteresse hat das OLG den Vorrang mit der Begründung eingeräumt, dass aufgrund der erfolgreichen Vaterschaftsanfechtung feststehe, dass die Bf. in der Empfängniszeit mit einem anderen Mann geschlechtlich verkehrt habe; es gehe also „nur“ noch um die Frage, wer als Vater in Betracht komme. Damit verkennt das Gericht, dass zur verfassungsrechtlich geschützten Intimsphäre der Mutter gerade auch die Frage gehört, mit welchem Partner sie eine geschlechtliche Beziehung eingegangen ist. Die Offenbarung und Nennung von Partnern sexueller Kontakte ist mit Blick auf den Schutz der Privatsphäre der betroffenen Frauoftmals sogar noch von größerer Brisanzals der Umstand, dass es überhaupt zur außerehelichen Zeugung eines Kindes gekommen ist. Das Recht der Bf., geschlechtliche Beziehungen zu einem bestimmten Partner nicht offenbaren zu müssen, war mit der Offenlegung des Mehrverkehrs nicht verbraucht und hätte bei der von den Gerichten vorzunehmenden Interessenabwägung weiter Berücksichtigung finden müssen.

b) [32] Das Amtsgericht hat dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Bf. deshalb keine Bedeutung beigemessen, weil die Bf. den M… nicht darüber aufgeklärt habe, dass nicht er allein als biologischer Vater in Betracht komme. Damit hat es den durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht gebotenen Schutz der Bf. unzulässig verkürzt und hat es versäumt, deren Interesse, den Namen des mutmaßlichen Vaters nicht nennen zu müssen, anhand der konkreten Umstände des Falls gegen das finanzielle Regressinteresse des M abzuwägen.

c) Zwar sind Konstellationen denkbar, bei denen das Interesse des Scheinvaters ausnahmsweise über wiegt. [30] So etwa in dem Fall, dass der Scheinvater von der Mutter zur Vaterschaftsanerkennung veranlasst worden war (BGHZ 191, 259 ff.) oder die Mutter aufgrund ihres Verhaltens dem Scheinvater wegen seiner dem Scheinkind erbrachten Leistungen nach § 826 BGB schadenersatzpflichtig ist (vgl. BGHZ 196, 207 ff.). Solche Umstände sind im vorliegenden Fall aber nicht gegeben. Vielmehr sprechen weitere Gesichtspunkte für ein überwiegendes Interesse der B. [34] Insbesondere haben die Gerichte unberücksichtigt gelassen, dass das Kind vor der Ehe gezeugt wurde und damit aus einer Zeit stammt, in der ein Vertrauen des M, allein als Kindesvater in Betracht zu kommen, angesichts der Umstände des vorliegenden Falls nicht ohne weiteres begründet war… Die Gerichte sind auch nicht näher darauf eingegangen, dass die Bf. - von M unwidersprochen - dargelegt hat, M gegenüber nie behauptet zu haben, das Kind könne nur von ihm abstammen.

3. Somit hat insbesondere das OLG den Einfluss des Persönlichkeitsrechts der B auf die zu treffende Entscheidung unzutreffend beurteilt und damit das Grundrecht der B in verfassungsspezifischer Weise verletzt. (Ähnlich hatte BVerfGE 96, 56 in einem Fall entschieden, in dem die Tochter von der Mutter Auskunft darüber verlangt hatte, wer ihr Vater ist.)

V. Das Grundrecht der B aus Art. 2 I, 1 I GG ist also aus zwei Gründen verletzt: weil das OLG - dem BGH folgend - sich auf eine unzulässige Rechtsfortbildung gestützt hat und weil sein Beschluss auf Abwägungsmängeln beruht. Die VfB ist begründet.

Abschließende Überlegung zum Gedankengang und zur Entscheidung des BVerfG: Während in der vorstehenden Lösung davon ausgegangen wurde, dass beide Gründe in der dargestellten Weise zusammenhängen und letztlich nur eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliegt, hat das BVerfG beide Aspekte getrennt und bei der unzulässigen Rechtsfortbildung eine Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit i. V. mit dem Rechtsstaatsprinzip angenommen. [53, 54] Die mit der VfB angegriffenen Entscheidungen des AG sowie des OLG verletzen die Bf. in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG und in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG). Es ist angezeigt, nur den Beschluss des OLG aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das OLG zurückzuverweisen (§ 95 Abs. 2 BVerfGG), weil es im Interesse der Bf. liegt, möglichst rasch eine das Verfahren abschließende Entscheidung zu erhalten.


Zusammenfassung