Bearbeiter: RA Prof. Dieter Schmalz

Verfassungsbeschwerde gegen Zivilurteile, §§ 90 ff. BVerfGG; Prüfungsumfang des BVerfG. Mittelbare Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht; im Fall: innerhalb eines Unterlassungsanspruchs nach §§ 1004 I 2, 823 I BGB analog. Grundrecht auf Freiheit der Kunst, Art. 5 III 1 GG. Allgemeines Persönlichkeitsrecht, Art. 2 I, 1 I GG.Verfassungsimmanente Schranken vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte. Kunstspezifische Betrachtung bei Kollision zwischen Persönlichkeitsrecht und Kunstfreiheit

BVerfG Beschluss vom 13. 6. 2007 (1 BvR 1783/05) NJW 2008, 39

Fall (Esra)

Zu den Parteien dieses Falles gehören der Schriftsteller Maxim Biller (B), die aus der Türkei stammende frühere Schauspielerin A (Bundesfilmpreisträgerin 1989) und ihre Mutter M, die Besitzerin eines Hotels in der Türkei ist und für ihren Kampf gegen den Goldabbau mittels Zyanid den Alternativen Nobelpreis 2000 erhielt.

Zwischen B und A bestand über eineinhalb Jahre eine Liebesbeziehung. Nach deren Ende schrieb B den Roman Esra, in dem er in der Form einer Ich-Erzählung die Liebesbeziehung zwischen Adam, einem Schriftsteller, und Esra, einer Schauspielerin schildert; die Mutter der Esra ist Lale. Zwischen Esra und A bestehen zahlreiche und charakteristische Übereinstimmungen, insbesondere: Esra hat eine intimes Verhältnis zu Adam; sie ist Trägerin eines Filmpreises; A und Esra haben eine gescheiterte Ehe hinter sich und leben in einer neuen Beziehung; A und Esra haben zwei Kinder von verschiedenen Vätern, die jüngste Tochter ist zeitweise lebensgefährlich erkrankt und musste sich mehreren schweren Operationen unterziehen; der Roman spielt an denselben Orten, an denen auch B und A gelebt haben. Gleiches gilt für M und Lale: Lale ist die Mutter der Partnerin des Adam, besitzt ein Hotel in der Türkei, ist Trägerin eines Umweltpreises. B behauptet allerdings, er sei durch die Beziehung zu A lediglich zu dem Roman inspiriert worden, und verweist darauf, dass er im Nachwort zu dem Roman geschrieben hat: „Sämtliche Figuren dieses Romans sind frei erfunden. Alle Ähnlichkeiten mit Lebenden und Verstorbenen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.“ Er hat A ein Exemplar des Romans übersandt und darin als Widmung geschrieben: „Liebe A, dieses Buch ist für Dich. Ich habe es nur für Dich geschrieben, aber ich verstehe, dass Du Angst hast, es zu lesen. Vielleicht liest Du es, wenn wir alt sind - und siehst dann noch einmal, wie sehr ich Dich geliebt habe. Maxim.“ Das Buch erschien in dem Verlag, der im späteren Verfassungsbeschwerdeverfahren die Beschwerdeführerin ist (Bf.).

Der Roman stellt Esra als eine passive, unselbstständige Frau dar, die vom Willen ihrer Mutter abhängig ist. Geschildert werden die Krankheit der Tochter, die Operationen und die Art, wie A als Mutter damit umgegangen ist. Dargestellt werden Auseinandersetzungen zwischen A und Mitgliedern ihrer Familie. Der Roman enthält ausführliche Schilderungen aus dem Sexualleben der Esra mit intimen Details und teilweise ehrverletzendem Charakter, einschließlich der Darstellung eines Abtreibungsversuchs. Lale wird als psychisch kranke Alkoholikerin geschildert, die ihre Tochter und Familie tyrannisiert, die die Mafia auf ihre Eltern hetzt, die ihr Hotel in Brand steckt, um die Versicherungssumme zu kassieren, und die gegen den Goldabbau nur gekämpft hat, weil auf ihrem eigenen, durch Gaunerei erworbenem Grundstück kein Gold gefunden wurde. Im späteren Prozess erklärte B, dass keineswegs alles, was in dem Buch stehe, sich auch wirklich ereignet habe, sondern dass es durchaus Passagen mit ausschließlich romanhaftem Charakter gebe.

A und M wandten sich im Zivilrechtsweg zunächst mittels eines Antrags auf eine einstweilige Verfügung, später mit der Klage in der Hauptsache gegen die Verbreitung des Buches Esra. Dabei war A die Kl. zu 1), M die Kl. zu 2). Sie erreichten in den Tatsacheninstanzen (LG München und OLG München) eine Verurteilung der Bf. dazu, die weitere Verbreitung des Buches zu unterlassen. Die Revision wurde vom BGH (NJW 2005, 2844) zurückgewiesen. Dagegen hat Bf. Verfassungsbeschwerde erhoben. Wie ist über diese zu entscheiden ?

A. Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde

I. Die VfB muss sich gegen einen Hoheitsakt richten (§ 90 I BVerfGG). Hoheitsakte sind hier die zivilgerichtlichen Urteile, insbesondere das Urteil des Berufungsgerichts (OLG) und das des BGH, die zusammen zu sehen sind, weil sie aufeinander Bezug nehmen und auf die gleiche Rechtsfolge, die Unterlassung der Verbreitung des Buches Esra, gerichtet sind.

II. Bf. muss geltend machen, in einem Grundrecht verletzt zu sein (§ 90 I BVerfGG).

1. Bf. könnte sich auf eine Verletzung des Grundrechts der Kunstfreiheit (Art. 5 III GG) berufen. Zwar ist Bf. nicht Urheberin des Werks und damit nicht der Künstler, der das Werk geschaffen hat und dem in erster Linie das Grundrecht aus Art. 5 III zusteht. Art. 5 III schützt aber auch die Verbreitung eines Kunstwerkes, die hier durch den Verlag vorgenommen wird. Deshalb kann Bf. zumindest geltend machen, dass Art. 5 III 1 verletzt sei, was für die Bejahung der Beschwerdebefugnis ausreicht.

2. Eventuelle, bei einer Urteilsverfassungsbeschwerde zu stellende besondere Anforderungen („spezifische Verfassungsverletzung“) sind keine Frage der Zulässigkeit, sondern betreffen den Prüfungsmaßstab innerhalb der Begründetheit (dazu B I 3). Sie sind zwar von Bedeutung bei der vom Bf. zu überwindenden Hürde der Annahme zur Entscheidung (§§ 93 a-c BVerfGG), jedoch ist auch diese keine Zulässigkeitsfrage, sondern die Annahme zur Entscheidung setzt die Zulässigkeit voraus.

III. Die nach § 90 II 1 BVerfGG notwendige Erschöpfung des Rechtswegs liegt vor, nachdem der BGH als letztinstanzliches Gerichts entschieden hat. Es kann auch davon ausgegangen werden, dass Bf. im Zivilprozess sich auf die Kunstfreiheit berufen und damit die Anforderungen erfüllt hat, die das für die VfB geltende Subsidiaritätsprinzip stellt.

IV. Von der Einhaltung der formellen Anforderungen (§§ 23, 92 BVerfGG) und der Wahrung der Monatsfrist (§ 93 I BVerfGG) kann ausgegangen werden. Somit ist die VfB zulässig.

B. Die VfB ist begründet, wenn Bf. durch die zivilgerichtlichen Urteile in ihrem Grundrecht auf Freiheit der Kunst (Art. 5 III 1 GG) verletzt ist.

I. Da die Urteile einen Streit zwischen Privatpersonen (A und M einerseits, Bf. andererseits) betreffen, der nach Privatrecht zu entscheiden ist, ist zunächst zu prüfen, ob das Grundrecht des Art. 5 III GG im vorliegenden Zusammenhang überhaupt anwendbar ist.

1. Grundsätzlich richten sich die Grundrechte nur gegen die Staatsorgane (Art. 1 III GG), nicht gegen Private. Privatpersonen können über ihr Verhalten und die Gestaltung ihrer Rechtsbeziehungen frei entscheiden und brauchen beispielsweise ihre möglichen Vertragspartner nicht nach Art. 3 I GG gleich zu behandeln. Allein dass ein Gericht Recht spricht, reicht, wenn es über die Rechtsbeziehungen Privater und deren Rechte und Pflichten untereinander urteilt, für eine Anwendung der Grundrechte i. S. des Art. 1 III nicht aus, weil es nichts daran ändert, dass sich die Rechtsbeziehungen zwischen Privaten nach Privatrecht richten.

2. Jedoch gilt die Lehre von der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht.

a) Danach kommen die Grundrechte zur Anwendung, wenn das Privatrecht die Rechtssphären der Privatrechtssubjekte nicht abschließend gegeneinander abgrenzt, sondern eine Auslegung oder Konkretisierung des Privatrechts erfolgen muss, was insbesondere bei Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen der Fall ist. Die grundrechtlich geschützten Güter und Interessen fließen in die Auslegung und Anwendung des Privatrechts ein, sind Elemente innerhalb der Interessen- und Güterabwägung und erhalten damit gegenüber den Privaten eine mittelbare Wirkung.

(Grundlegend BVerfGE 7, 198, Lüth, LS 2; ferner BVerfGE 73, 261, 269: Im Privatrecht „wirkt der Rechtsgehalt der Grundrechte über das Medium der das einzelne Rechtsgebiet unmittelbar beherrschenden Vorschriften, insbesondere der Generalklauseln und sonstigen auslegungsfähigen und auslegungsbedürftigen Begriffe, ein, die im Sinne dieses Rechtsgehalts ausgelegt werden müssen …“ Ferner BVerfGE 89, 1, 13; 89, 214, 229; NJW 2004, 2009.)

b) Im vorliegenden Fall stützen A und M ihren Unterlassungsanspruch über § 1004 I 2 BGB analog auf ihr Persönlichkeitsrecht, ein nach § 823 I BGB geschütztes, „sonstiges“ und absolutes Recht. Dessen Ausgestaltung steht nicht begrifflich-scharf fest, sondern bedarf - als Rahmenrecht - einer Abwägung mit anderen Rechtsgütern. Zu diesen anderen Rechtsgütern gehört die Kunstfreiheit als das im Falle einer Bejahung des Unterlassungsanspruchs beeinträchtigte Rechtsgut. Somit sind sowohl das Persönlichkeitsrecht als auch die Kunstfreiheit unbestimmte Rechtsbegriffe, die im vorliegenden Fall teils als Anspruchsvoraussetzungen und teils als Abwägungselemente im Rahmen der §§ 1004 I 2, 823 I BGB anzuwenden sind.

3. Das bedeutet allerdings noch nicht, dass die (mittelbare) Anwendung der Grundrechte im Privatrecht vom BVerfG unbegrenzt zu überprüfen wäre.

a) BVerfG Rdnr. 66: Auch wenn die Parteien in einem Zivilrechtsstreit, in dem es um den Konflikt von Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrecht geht, um grundrechtlich geschützte Positionen streiten, handelt es sich um einen Rechtsstreit zwischen privaten Parteien, zu dessen Entscheidung in erster Linie die Zivilgerichte berufen sind. Das gilt insbesondere für die tatsächlichen Feststellungen, die für die Annahme einer Persönlichkeitsrechtsverletzung von Bedeutung sind. Daraus hat das BVerfG bisher geschlossen - und grundsätzlich gilt das auch weiter -, dass das BVerfG die Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts nicht nachzuprüfen hat. Es kann deshalb eine zivilgerichtliche Entscheidung nicht schon dann aufheben, wenn es selbst bei der Beurteilung widerstreitender Grundrechtspositionen die Akzente anders gesetzt und daher anders entschieden hätte (vgl. BVerfGE 214 [230]). Vielmehr ist die Schwelle eines Verstoßes gegen Verfassungsrecht, den das BVerfG zu korrigieren hat, erst erreicht, wenn die Entscheidung Auslegungsfehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind. Das BVerfG prüft somit Urteile der Fachgerichte nur auf spezifische Verfassungsverletzungen hin nach.

b) Davon weicht das BVerfG aber in Ausnahmefällen ab, zu denen der vorliegende Fall gehört. Rdnr. 66: Das Verbot eines Romans stellt einen besonders starken Eingriff in die Kunstfreiheit dar. Das BVerfG kann seine Überprüfung daher nicht auf die Frage beschränken, ob die angegriffenen Entscheidungen auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen. Das BVerfG muss vielmehr die Vereinbarkeit der angegriffenen Entscheidungen mit der verfassungsrechtlichen Kunstfreiheitsgarantie auf der Grundlage der konkreten Umstände des vorliegenden Sachverhalts überprüfen.

Somit ist hier die Frage der Verletzung des Art. 5 III 1 auf der Basis der Tatsachenfeststellungen der Zivilgerichte, im übrigen aber unbeschränkt zu überprüfen.

II. Eine Verletzung des Art. 5 III setzt voraus, dass ein Eingriff in den Schutzbereich dieses Grundrechts vorliegt.

1. Hierfür müsste der im vorliegenden Fall betroffene Vorgang, die Verbreitung des Romans Esra, in den Schutzbereich der Kunstfreiheit fallen.

a) BVerfG Rdnr. 59: Unabhängig von der vom BVerfG wiederholt hervorgehobenen Schwierigkeit, den Begriff der Kunst abschließend zu definieren (vgl. BVerfGE 30, 173 [188 f.]; 67, 213 [224 ff.]), stellt der Roman „Esra“…ein Kunstwerk dar, nämlich eine freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache, hier des Romans, zur Anschauung gebracht werden (vgl. BVerfGE 30, 173 [188 f.]; 67, 213 [226]; 75, 369 [377]). Auch wenn wesentlicher Gegenstand des Rechtsstreits, der zu der vorliegenden Verfassungsbeschwerde geführt hat, das Ausmaß ist, in dem der Autor in seinem Werk existierende Personen schildert, ist jedenfalls der Anspruch des Autors deutlich, diese Wirklichkeit künstlerisch zu gestalten.

 b) Rdnr. 63: Die Kunstfreiheitsgarantie betrifft in gleicher Weise den „Werkbereich“ und den „Wirkbereich“ künstlerischen Schaffens. Nicht nur die künstlerische Betätigung (Werkbereich), sondern darüber hinaus auch die Darbietung und Verbreitung des Kunstwerks [Wirkbereich] sind sachnotwendig für die Begegnung mit dem Werk als eines ebenfalls kunstspezifischen Vorgangs. Dieser „Wirkbereich“ ist der Boden, auf dem die Freiheitsgarantie des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG bisher vor allem Wirkung entfaltet hat (vgl. BVerfGE 30, 173 [189];… 81, 278 [292]).

 c)Rdnr. 64, 65: Auf dieses Grundrecht kann sich auch die Beschwerdeführerin als Verlegerin berufen. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG garantiert die Freiheit der Betätigung im Kunstbereich umfassend. Soweit es zur Herstellung der Beziehungen zwischen Künstler und Publikum der publizistischen Medien bedarf, sind auch die Personen durch die Kunstfreiheitsgarantie geschützt, die eine solche vermittelnde Tätigkeit ausüben (vgl. BVerfGE 30, 173 [191];… 82, 1 [6]).

Folglich greift hier der Schutzbereich des Art. 5 III 1 ein.

2. Das durch die gerichtlichen Verbote ausgesprochene Verbreitungsverbot für den Roman Esra bedeutet einen Eingriff in die Freiheit der Kunst und damit in den Schutzbereich des Art. 5 III 1 (BVerfG Rdnr. 67).

III. Dieser Eingriff könnte gerechtfertigt sein.

1. Art. 5 III 1 enthält keinen Gesetzesvorbehalt, der Grundlage für die Rechtfertigung eines Eingriffs sein kann. Der Gesetzesvorbehalt des Art. 5 II gilt, wie sich aus seiner Stellung ergibt, nur für die Grundrechte des Absatzes 1, nicht für die des Absatzes 3.Auch eine verfassungsunmittelbare Schranke enthält die Freiheit der Kunst nicht; Art. 5 III 2 gilt nur für die Freiheit der Lehre.

2. BVerfG Rdnr. 68: Die Kunstfreiheit ist nicht mit einem ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt versehen. Sie ist aber nicht schrankenlos gewährleistet, sondern findet ihre Grenzen unmittelbar in anderen Bestimmungen der Verfassung, die ein in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes ebenfalls wesentliches Rechtsgut schützen (vgl. BVerfGE 30, 173 [193]; 67, 213 [228]).

a) Eine solche ungeschriebene Schranke wird üblicherweise als verfassungsimmanente Schranke bezeichnet, um deutlich zu machen, dass sie sich aus der Verfassung selbst ergibt - woraus ihre grundsätzliche Zulässigkeit folgt - und nicht von außen an sie herangetragen wird - was unzulässig wäre -. Sie hat zur Voraussetzung, dass ein wesentliches Gut der Verfassung, ein Verfassungswert, vorhanden ist, der mit dem einzuschränkenden Grundrecht (hier: Art. 5 III) kollidiert, und dass eine Abwägung dem (anderen) Verfassungswert im konkreten Fallein höheres Gewicht beimisst als der Verwirklichung des Grundrechts. (Das BVerfG spricht die Notwendigkeit einer Abwägung noch nicht an dieser Stelle an, sondern erst später bei Rdnr. 85 a. E. / 86; dazu noch unten 3c und d.)

b) BVerfG Rdnr. 69: Gerade wenn man den Begriff der Kunst im Interesse des Schutzes künstlerischer Selbstbestimmung weit fasst und nicht versucht, mit Hilfe eines engen Kunstbegriffs künstlerische Ausdrucksformen, die in Konflikt mit den Rechten anderer kommen, von vornherein vom Grundrechtsschutz der Kunstfreiheit auszuschließen…, und wenn man nicht nur den Werkbereich, sondern auch den Wirkbereich in den Schutz einbezieht, dann muss sichergestellt sein, dass Personen, die durch Künstler in ihren Rechten beeinträchtigt werden, ihre Rechte auch verteidigen können und in diesen Rechten auch unter Berücksichtigung der Kunstfreiheit einen wirksamen Schutz erfahren. In dieser Situation sind die staatlichen Gerichte den Grundrechten beider Seiten gleichermaßen verpflichtet.

III. Nachfolgend sind die Voraussetzungen für das Eingreifen einer verfassungsimmanenten Schranke der Kunstfreiheit zu prüfen.

1. Anderer Verfassungswert kann hier das allgemeine Persönlichkeitsrecht von A und M sein.

a) Innerhalb der von A und M geltend gemachten Anspruchsgrundlage §§ 1004 I 2, 823 I BGB ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht ein privatrechtliches, „sonstiges“ Recht. Das BVerfG leitet es aber aus dem GG her. Rdnr. 70: Verfassungsgut ist das durch Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Persönlichkeitsrecht (vgl. BVerfGE 67, 213 [228]). Diesem ist in der Rspr. des BVerfG ein besonders hoher Rang beigemessen worden. Das gilt insbesondere für seinen Menschenwürdekern (vgl. BVerfGE 75, 369 [380]; 80, 367 [373 f.]). Das Persönlichkeitsrecht ergänzt die im Grundgesetz normierten Freiheitsrechte und gewährleistet die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen (vgl. BVerfGE 54, 148 [153]; 114, 339 [346]). Damit kommt es auch als Schranke für künstlerische Darstellungen in Betracht.

 b) Rdnr. 71: Der Inhalt dieses Rechts ist nicht allgemein und abschließend umschrieben. Zu den anerkannten Inhalten gehören das Verfügungsrecht über die Darstellung der eigenen Person, die soziale Anerkennung sowie die persönliche Ehre (vgl. BVerfGE 54, 148 [153 f.]; 99, 185 [193]; 114, 339 [346]). Eine wesentliche Gewährleistung ist der Schutz vor Äußerungen, die geeignet sind, sich abträglich auf das Ansehen der Person, insbesondere ihr Bild in der Öffentlichkeit, auszuwirken. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt die Person vor verfälschenden oder entstellenden Darstellungen, die von nicht ganz unerheblicher Bedeutung für die Persönlichkeitsentfaltung sind (vgl. BVerfGE 97, 125 [148 f.];…114, 339 [346]).

c) Damit das Persönlichkeitsrecht von A und M als Schranke der Kunstfreiheit eingreift, müssen A und M in ihrem Persönlichkeitsschutz beeinträchtigt sein. (Hier von „Eingriff“ zu sprechen wäre nicht berechtigt, weil die Beeinträchtigung von B und Bf. ausgeht und diese keinen hoheitlichen Eingriff vornehmen können.)

aa) Eine Beeinträchtigung durch den Roman setzt voraus, dass A und M in den Darstellungen von Esra und Lale erkennbar sind, was sich aus obigem Sachverhalt ohne weiteres ergibt. Im Originalfall wurde das von den Zivilgerichten festgestellt und vom BVerfG bestätigt (Rdnrn. 74 - 78). Dabei verlangt das BVerfG unter Rdnr. 76/77 eine hohe Kumulation von Identifizierungsmerkmalen, die hier aber vorliege, so dass sich die Identifizierung von A/M mit Esra/Lale förmlich aufdrängt.

bb) A und M sind auch nicht nur geringfügig, sondern in erheblichem Maße negativ betroffen. BVerfG Rdnr. 78: Den Romanfiguren, als deren Vorbild sie erkennbar sind, werden Handlungen und Eigenschaften zugeschrieben, die, wenn der Leser sie auf die Klägerinnen beziehen kann, geeignet sind, ihr Persönlichkeitsrecht erheblich zu beeinträchtigen.Durch die in dem Roman dargestellten Vorgänge, die auf A und M bezogen werden können, handelt es sich um Äußerungen, die geeignet sind, sich abträglich auf das Ansehen von A und M und ihr Bild in der Öffentlichkeit auszuwirken.

2. Damit liegt eine Kollision von Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrecht vor, die es nicht zulässt, dass in dieser Situation beide Rechtsgüter, sowohl die Kunstfreiheit als auch das Persönlichkeitsrecht, in vollem Umfang verwirklicht werden können.

Es wäre auch nicht zulässig, etwa ausgehend davon, dass in dem Ausgangs-Zivilrechtsstreit der Anspruch auf Verletzung des Persönlichkeitsrechts gestützt wird, lediglich auf die oben 1. festgestellte Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts abzustellen. Denn, wie BVerfG Rdnr. 79/80 ausführt, zieht auch die Kunstfreiheit dem Persönlichkeitsrecht Grenzen…

Um diese Grenzen im konkreten Fall zu bestimmen, genügt es daher im gerichtlichen Verfahren nicht, ohne Berücksichtigung der Kunstfreiheit eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts festzustellen.

3. Es bedarf deshalb einer Abwägung unter dem Gesichtspunkt, ob und inwieweit die Kunstfreiheit oder das Persönlichkeitsrecht höher zu gewichten sind.

a) BVerfG Rdnr. 80: Hierfür ist Ausgangspunkt die Frage, ob die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts derart schwerwiegend ist, dass die Freiheit der Kunst zurückzutreten hat. Eine geringfügige Beeinträchtigung…reicht hierzu angesichts der hohen Bedeutung der Kunstfreiheit nicht aus. Lässt sich freilich eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts zweifelsfrei feststellen, so kann sie auch nicht durch die Kunstfreiheit gerechtfertigt werden (vgl. BVerfGE 67, 213 [228]).

Zum Zwecke dieser Prüfung geht das BVerfG unter Rdnr. 87, 88 (vgl. zuvor oben III 1b, BVerfG Rdnr. 71) wiederum auf den Inhalt des Persönlichkeitsrechts ein: Der Inhalt dieses Rechts ist nicht allgemein und abschließend umschrieben. Seinen einzelnen Ausprägungen kommt ungeachtet der grundsätzlichen Bedeutung des Grundrechts unterschiedliches Gewicht als mögliche Schranke der Kunstfreiheit zu.

Das BVerfG geht in st. Rspr. davon aus, dass wegen der besonderen Nähe zur Menschenwürde ein Kernbereich privater Lebensgestaltung als absolut unantastbar geschützt ist (vgl. BVerfGE 6, 32 [41];…89, 69 [82 f.]; 109, 279 [313]). Diesem absolut geschützten Kernbereich [Intimsphäre], zu dem insbesondere auch Ausdrucksformen der Sexualität gehören (vgl. BVerfGE 109, 279 [313]), ist die Privatsphäre in der Schutzintensität nachgelagert (vgl. BVerfGE 32, 373 [379 ff.];… 35, 202 [220 f.]; 80, 367 [374 f.]).

b) Bei der Frage, ob eine schwerwiegende (intensive) Beeinträchtigung der Persönlichkeit durch ein literarisches Kunstwerk vorliegt, verlangt das BVerfG eine kunstspezifische Betrachtung (Rdnrn. 81 - 103). Sie hat davon auszugehen, dass der Autor eines Kunstwerks nicht etwa eine die Wirklichkeit wiedergebende Reportage schreibt, sondern dass er die Darstellung auf eine neue, literarisch-ästhetische Ebene hebt, auf der eine Fiktionalisierung des Geschehens stattfindet. Bei einem Roman besteht die Vermutung, dass das Geschehen in wesentlichen Teilen fiktiv ist und keinen Faktizitätsanspruch erhebt, dass also Abbild und Urbild nicht so weitgehend übereinstimmen, dass darin bereits eine schwere Verletzung des Persönlichkeitsrechts liegen würde. Rdnr. 84: Diese Vermutung gilt im Ausgangspunkt auch dann, wenn hinter den Romanfiguren reale Personen als Urbilder erkennbar sind. Da die Kunstfreiheit eine derartige Verwendung von Vorbildern in der Lebenswirklichkeit einschließt, kann es auch kein parallel zum Recht am eigenen Bild verstandenes Recht am eigenen Lebensbild geben, wenn dies als Recht verstanden würde, nicht zum Vorbild einer Romanfigur zu werden. Dabei muss es sich bei der in Rede stehenden Publikation allerdings tatsächlich um Literatur handeln, die für den Leser erkennbar keinen Faktizitätsanspruch erhebt. Ein fälschlicherweise als Roman etikettierter bloßer Sachbericht käme nicht in den Schutz einer kunstspezifischen Betrachtung.

Rdnr. 90: Zwischen dem Maß, in dem der Autor eine von der Wirklichkeit abgelöste ästhetische Realität schafft und der Intensität der Verletzung des Persönlichkeitsrechts besteht eine Wechselbeziehung. Je stärker Abbild und Urbild übereinstimmen, desto schwerer wiegt die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts. Je mehr die künstlerische Darstellung die besonders geschützten Dimensionen des Persönlichkeitsrechts berührt, desto stärker muss die Fiktionalisierung sein, um eine Persönlichkeitsrechtsverletzung auszuschließen.

c) Im vorliegenden Fall der A ist die Vermutung weitgehender Fiktionalisierung widerlegt. BVerfG Rdnr. 101: Die Kl. zu 1 ist nicht nur…in der Romanfigur der Esra erkennbar dargestellt. Ihre Rolle im Roman betrifft auch zentrale Ereignisse, die unmittelbar zwischen ihr und dem Ich-Erzähler , der seinerseits unschwer als der Autor zu erkennen ist, und während deren Beziehung stattgefunden haben. Sowohl ihre intime Beziehung zum Autor wie ihre Ehe, die Krankheit ihrer Tochter und ihre neue Beziehung sind nach den zutreffenden Feststellungen der Gerichte mehr oder weniger unmittelbar der Wirklichkeit entnommen, so dass dem Leser…nicht nahegelegt wird, diese Geschehnisse als Fiktion zu verstehen, auch weil schon aus der Perspektive des Romans eigenes Erleben des Ich-Erzählers geschildert wird.

Rdnr. 102: Durch die realistische und detaillierte Erzählung der Geschehnisse wird das Persönlichkeitsrecht der Kl. zu 1) besonders schwer betroffen. Dies geschieht insbesondere durch die genaue Schilderung intimster Details einer Frau, die deutlich als tatsächliche Intimpartnerin des Autors erkennbar ist. Hierin liegt eine Verletzung ihrer Intimsphäre und damit eines Bereichs des Persönlichkeitsrechts, der zu dessen Menschenwürdekern gehört (vgl. BVerfGE 109, 279 [313])… Die eindeutig als Esra erkennbar gemachte Kl. zu 1) muss aufgrund des überragend bedeutenden Schutzes der Intimsphäre nicht hinnehmen, dass sich Leser die durch den Roman nahegelegte Frage stellen, ob sich die dort berichteten Geschehnisse auch in der Realität zugetragen haben. Daher fällt die Abwägung zwischen der Kunstfreiheit des die Verfassungsbeschwerde führenden Verlags und des Persönlichkeitsrechts der Kl. zu 1) zu deren Gunsten aus…

Rdnr. 103: Daneben stellt auch die Schilderung der tatsächlich bestehenden lebensbedrohlichen Krankheit der Tochter eine schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung der Kl. zu 1) dar. Auch die Tochter ist für ihr Umfeld, zum Beispiel ihre Mitschüler, eindeutig identifizierbar. Angesichts des besonderen Schutzes von Kindern und der Mutter-Kind-Beziehung (vgl. BVerfGE 101, 361 [385 f.]) hat die Darstellung der Krankheit und der dadurch gekennzeichneten Beziehung von Mutter und Kind bei zwei eindeutig identifizierbaren Personen…in der Öffentlichkeit nichts zu suchen.

Ergebnis im Hinblick auf den Fall der A: Das Persönlichkeitsrecht der A hat höheres Gewicht und schränkt die Kunstfreiheit des B und der Bf. ein. Der zivilrechtliche Unterlassungsanspruch der A gegen Bf. aus §§ 1004 I 2, 823 I BGB ist begründet. Durch dessen Zubilligung haben die Zivilgerichte das Grundrecht aus Art. 5 III 1 GG nicht verletzt. Die VfB der Bf. ist unbegründet. Esra bleibt verboten.

Insoweit ist die Entscheidung des Senats des BVerfG mit 5: 3 Stimmen ergangen. Diejenigen Mitglieder des Senats, die für eine Verletzung der Kunstfreiheit gestimmt haben, haben der die Entscheidung tragenden Begründung ausführliche abweichende Voten beigefügt. – Eine Fortsetzung findet die Auseinandersetzung in der zwischenzeitlich erhobenen Klage von A und M gegen B und Bf. auf Zahlung von je 50.000 Euro Schmerzensgeld wegen Persönlichkeitsverletzung. Im Februar 2008 hat das LG München darüber verhandelt (vgl. Süddeutsche Zeitung vom 11. 2. 2008 S. 14), aber bisher (Stand 12. 2. 2008) noch nicht entschieden. Auch ein Buch über den Fall gibt es: Von Becker, „Fiktion und Wirklichkeit im Roman. Der Schlüsselprozess um das Buch Esra“ (2006).

d) Im Hinblick auf M ist das BVerfG dagegen den Zivilgerichten nicht gefolgt, sondern ist vom Fortbestehen der Vermutung für eine weitgehende Fiktionalisierung ausgegangen. Es stellt unter Rdnr. 94 - 99 fest, dass die Gerichte sich damit begnügen, dass die Romanfigur der Lale sehr negativ gezeichnet ist, und sehen darin die Persönlichkeitsrechtsverletzung. Dabei gehen sie aber letztlich selbst davon aus, und machen dem Roman gerade dies zum Vorwurf, dass nicht alles, was im Roman über Lale steht, den Tatsachen entspricht. Damit, dass die Kl. zu 2) erkennbar Vorbild der Lale ist, ist jedoch nicht gesagt, dass der Roman es nahe legt, dass alle Handlungen und Eigenschaften der Lale von einem Leser der Kl. zu 2) zugeschrieben werden müssen.

 Die Entscheidungen berücksichtigen nicht hinreichend, dass der Roman im Ausgangspunkt als Fiktion anzusehen ist…Trotz der erkennbaren Bezüge zur Wirklichkeit vermag ein literarisch verständiger Leser zu erkennen, dass sich der Text nicht in einer reportagehaften Schilderung von realen Personen und Ereignissen erschöpft, sondern dass er eine zweite Ebene hinter dieser realistischen Ebene besitzt. Die Figur der Lale spielt eine wichtige Rolle im Gesamtgefüge des Romans bei der Suche nach der Schuld für das Scheitern der Beziehung zwischen Adam und Esra. Der Roman gleitet hinsichtlich der Kl. zu 2) wegen dieser Funktionalisierung der Romanfigur der Lale nicht in eine Schmähung ab.

 Das gilt hinsichtlich der Figur der Lale auch deshalb, weil der Autor sie anders als Esra ganz überwiegend nicht aus eigenem Erleben schildert. Die Lebensgeschichte der Lale ist ein breit ausgemalter Roman im Roman. Gerade die von der Kl. zu 2) angegriffenen Inhalte des Romans sind deutlich erzählerisch, zum Teil auch mit Distanz nur als Wiedergabe fremder Erzählungen, Gerüchte und Eindrücke geschildert.

 Schon von daher wird die Kennzeichnung der Kl. zu 2) durch den Bundesgerichtshof „als eine depressive, psychisch kranke Alkoholikerin“, die „als eine Frau (erscheint), die ihre Tochter und ihre Familie tyrannisiert, herrisch und streitsüchtig ist, ihre Kinder vernachlässigt hat, das Preisgeld in ihr bankrottes Hotel gesteckt hat, ihren Eltern Land gestohlen und die Mafia auf sie gehetzt hat, gegen den Goldabbau nur gekämpft hat, weil auf ihrem eigenen ergaunerten Grundstück kein Gold zu finden gewesen ist, eine hohe Brandschutzversicherung abgeschlossen hat, bevor ihr Hotel in Flammen aufgegangen ist, ihre Tochter zur Abtreibung gedrängt hat, von ihrem ersten Mann betrogen und von ihrem ebenfalls alkoholsüchtigen zweiten Mann geschlagen worden ist“, nur unzureichend der gebotenen kunstspezifischen Betrachtung gerecht… Vielmehr steht hier die zweite, fiktive Ebene des Romans im Vordergrund.

 Unter diesen Umständen verfehlt es den Grundrechtsschutz solcher Literatur, wenn man die Persönlichkeitsrechtsverletzung bereits in der Erkennbarkeit als Vorbild einerseits und in den negativen Zügen der Romanfigur andererseits sieht. Ein solches Verständnis des Rechts am eigenen Lebensbild wird der Kunstfreiheit nicht gerecht.

 Somit bleibt es hier beim überwiegenden Gewicht der Kunstfreiheit. Art. 5 III 1 ist verletzt, die VfB der Bf. begründet.

Das BVerfG hat das Verfahren gemäß § 95 II BVerfGG an den BGH zurückverwiesen. Praktischen Nutzen hat das allerdings nicht, weil das Buch als Einheit zu betrachten ist und insgesamt verboten bleibt. Immerhin erhielt Bf. deshalb ein Viertel ihrer Kosten ersetzt.

Zusammenfassung

 I. Zur Anwendbarkeit der Grundrechte im Privatrecht

1. Es gilt die Lehre von der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht. Danach kommen die Grundrechte zur Anwendung, wenn das Privatrecht die Rechtssphären der Privatrechtssubjekte nicht abschließend gegeneinander abgrenzt, sondern eine Auslegung oder Konkretisierung des Privatrechts erfolgen muss, was insbesondere bei Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen der Fall ist.

2. Im vorliegenden Fall gilt das für die im Rahmen eines Unterlassungsanspruchs analog §§ 1004 I 2, 823 I BGB anzuwendenden Rechte auf Persönlichkeitsschutz und auf Schutz der Kunstfreiheit.

3. Die durch Grundrechte geschützten Güter und Interessen fließen in die Auslegung und Anwendung des Privatrechts ein, sind Elemente innerhalb der Interessen- und Güterabwägung und erhalten damit gegenüber den Privaten eine mittelbare Wirkung.

4. Die unzureichende Berücksichtigung der Grundrechte durch die Zivilgerichte kann als spezifische Verfassungsverletzung mit der VfB gerügt werden.

II. Zu den hier anwendbaren Grundrechten

1. Kunstfreiheit: Ein Kunstwerk liegt vor bei einer freien schöpferischen Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zur Anschauung gebracht werden. Darunter fällt ein Roman, in dem der Autor den Anspruch erhebt, die Wirklichkeit künstlerisch zu gestalten. Geschützt ist der Werkbereich und der Wirkbereich.

2. Allgemeines Persönlichkeitsrecht: Der Inhalt dieses Rechts lässt sich nicht allgemein und abschließend umschreiben. Zu den anerkannten Inhalten gehören das Verfügungsrecht über die Darstellung der eigenen Person, die soziale Anerkennung sowie die persönliche Ehre. Eine wesentliche Gewährleistung ist der Schutz vor Äußerungen, die geeignet sind, sich abträglich auf das Ansehen der Person, insbesondere ihr Bild in der Öffentlichkeit, auszuwirken. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt die Person vor verfälschenden oder entstellenden Darstellungen, die von nicht ganz unerheblicher Bedeutung für die Persönlichkeitsentfaltung sind. Absolut unantastbar ist der Kernbereich privater Lebensgestaltung, die Intimsphäre, zu der insbesondere die Ausdrucksformen der Sexualität gehören. Die übrige Privatsphäre ist in der Schutzintensität nachgelagert.

III. Zu den verfassungsimmanenten Schranken

1. Grundrechte, die keinem Gesetzesvorbehalt unterliegen wie Art. 4, 5 III, sind zwar vorbehaltlos, jedoch nicht schrankenlos gewährleistet. Für sie gelten verfassungsimmanente Schranken.

2. Danach wird ein vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht eingeschränkt, wenn ein wesentliches Gut der Verfassung, ein Verfassungswert, vorhanden ist, der mit dem Grundrecht kollidiert, und eine Abwägung ergibt, dass der (andere) Verfassungswert im konkreten Fall höheres Gewicht als die Verwirklichung des Grundrechts hat.

IV. Die Leitsätze des BVerfG

 1. Bei dem gerichtlichen Verbot eines Romans als besonders starkem Eingriff in die Kunstfreiheit prüft das BVerfG die Vereinbarkeit der angegriffenen Entscheidungen mit der verfassungsrechtlichen Kunstfreiheitsgarantie auf der Grundlage der konkreten Umstände des vorliegenden Sachverhalts.

2. Die Kunstfreiheit verlangt für ein literarisches Werk, das sich als Roman ausweist, eine kunstspezifische Betrachtung. Daraus folgt insbesondere eine Vermutung für die Fiktionalität eines literarischen Textes.

3. Die Kunstfreiheit schließt das Recht zur Verwendung von Vorbildern aus der Lebenswirklichkeit ein.

4. Zwischen dem Maß, in dem der Autor eine von der Wirklichkeit abgelöste ästhetische Realität schafft, und der Intensität der Verletzung [richtig: Beeinträchtigung] des Persönlichkeitsrechts besteht eine Wechselbeziehung. Je stärker Abbild und Urbild übereinstimmen, desto schwerer wiegt die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts. Je mehr die künstlerische Darstellung besonders geschützte Dimensionen des Persönlichkeitsrechts berührt, desto stärker muss die Fiktionalisierung sein, um eine Persönlichkeitsrechtsverletzung auszuschließen. Umgekehrt gilt: Je mehr der Autor das Geschehen auf eine fiktive Ebene verlagert, desto weniger Grund besteht für die Annahme einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts.