Bearbeiter: Prof. Dr. Rainer Strauß

Der folgende Fall befasst sich mit dem Delikt der Urkundenunterdrückung.

AG Karlsruhe Urteil vom 29.9.1999 (Js 13667/99), NJW 2000, 87

Fall (Vater schützt Sohn)

Zeuge Z beobachtete, wie der Fahrer eines Pkw beim Rückwärtsausparken aus einer Parklücke ein anderes Fahrzeug beschädigte und anschließend die Unfallstelle verließ. Z notierte auf einem Zettel das Kennzeichen des wegfahrenden Pkw sowie seine eigene Anschrift und Telefonnummer. Den Zettel wollte Z dem Geschädigten zukommen lassen. Um diesen zu finden, schellte er zunächst an den Wohnungstüren der umliegenden Häuser. Als sich dort niemand meldete, begab sich Z in einen nahegelegenen Computerladen und fragte den dort arbeitenden A, ob er den Eigentümer des Pkw kenne. Nachdem dieser den Zettel gelesen hatte, erkannte er, dass es sich bei dem unfallverursachenden Fahrzeug um sein eigenes Fahrzeug handelte und dass der Fahrer sein Sohn sein musste. A gab sich nicht zu erkennen. Z forderte A auf, den Zettel an die Windschutzscheibe des beschädigten Fahrzeug zu klemmen. A tat dies jedoch nicht. Er behielt den Zettel mit der Bemerkung, er werde sich schon um die Sache kümmern, Z solle sich keine Sorgen machen. Anschließend warf A den Zettel in der Absicht weg, einen Schadensersatzanspruch gegen seinen Sohn zu verhindern. Z fand die Bemerkungen des A merkwürdig und verständigte vorsorglich die Polizei, die den Sachverhalt aufklärte. Strafbarkeit des A ?

I. A könnte sich wegen Urkundenunterdrückung gemäß § 274 I Nr. 1 StGB strafbar gemacht haben.

1. Der von Z gefertigte Zettel enthielt neben dessen Anschrift das Kennzeichen des unfallverursachenden Fahrzeuges und somit eine verkörperte Gedankenerklärung. Der Zettel war zum Nachweis über der Identität des unfallverursachenden Fahrzeuges geeignet und ließ Z als Aussteller erkennen. Der Zettel war somit eine echte Urkunde. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Zettel nie von A unter die Windschutzscheibe des beschädigten Pkw geklemmt wurde. Denn für eine Strafbarkeit wegen Urkundenunterdrückung ist es nicht erforderlich, dass die Urkunde zunächst „in den Machtbereich“ des Geschädigten gelangt war. Das bereits hat das RG mehrfach entschieden. Das erkennende Gericht sah keinen Grund, von dieser reichsgerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen. Danach genügt es, dass jemand ein Schriftstück, das von einem anderen stammt und für einen Dritten bestimmt ist, in Kenntnis dieser Umstände nicht an den Dritten als seinen Adressaten gelangen lässt, sondern für sich behält...

2. A müsste die Urkunde vernichtet, beschädigt oder unterdrückt haben. Vernichtet ist eine Urkunde, wenn ihr Inhalt völlig beseitigt ist, so dass sie als Beweismittel nicht mehr vorhanden ist. A warf den Zettel weg. Dieser war somit als Beweismittel nicht mehr vorhanden und damit vernichtet.

3. A handelte vorsätzlich. Weiterhin müsste er mit der Absicht gehandelt haben, einem anderen einen Nachteil zuzufügen. Unter einem Nachteil i.S. des § 274 I Nr. 1 StGB wird jede Beeinträchtigung fremder Rechte verstanden. Die Vereitelung des staatlichen Straf- und Bußgeldanspruchs ist kein solcher Nachteil. A wollte seinen Sohn aber nicht vor einer Verurteilung wegen Unfallflucht gemäß § 142 I Nr. 1 StGB schützen, sondern verhindern, dass dieser regresspflichtig gemacht wurde. A handelte daher in der Absicht, dem Eigentümer des beschädigten Pkw einen Schaden zuzufügen.

4. Wie das AG zutreffend anmerkt, tritt eine Straflosigkeit des A auch nicht deshalb ein, weil der Angekl. im Verhältnis zu seinem Sohn ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 I Nr. 3 StPO besitzt. Dieses Recht gibt dem Angekl. die Befugnis, die Aussage gegenüber staatlichen Behörden und Gerichten zu verweigern, nicht aber, ein ihm nicht gehörendes und für eine andere Privatperson bestimmtes Schriftstück für sich zu behalten.

II. Eine Strafbarkeit wegen versuchter Strafvereitelung gemäß §§ 258 I, 22 StGB scheidet allerdings nach § 258 VI StGB aus, da A zugunsten eines Angehörigen handelte.