Bearbeiter: RA Prof. Dieter Schmalz

Abgrenzung des Richtervorbehalts zur Eilfallkompetenz von Staatsanwaltschaft und Polizei bei einer Wohnungsdurchsuchung, Art. 13 II GG, § 105 StPO. Beweisverwertungsverbote im Strafprozess. Beweisverwertungsverbot bei grober Missachtung des Richtervorbehalts

BGH Urteil vom 18. 4. 2007 (5 StR 546/06) NJW 2007, 2269

Fall (Staatsanwalt statt Richter)

Gegen A wurde schon seit längerer Zeit wegen Rauschgifthandels ermittelt. Nach richterlicher Anordnung hatte die Polizei in dem von ihm benutzten Pkw ein Ortungs- und Abhörgerät installiert. Der Polizei war deshalb bekannt, dass A sich schon mehrere Wochen in der Wohnung des W aufhielt. Am 18. 2. erfuhr der die Ermittlungen führende Kriminalkommissar K, dass A sich um ein Gerät bemühte, mit dem er ein in seinem Pkw angebrachtes Ortungs- und Abhörgerät auffinden könnte. K hielt nunmehr den Zeitpunkt für die Verhaftung des A für gekommen und erörterte das mit dem zuständigen Staatsanwalt S, der hierfür die Zustimmung erteilte. Um 17.30 Uhr wurde A festgeommen. Davon informierte K gegen 20.00 Uhr den S. Dabei stellte sich heraus, dass bisher eine Beweissicherung versäumt worden war. In Übereinstimmung mit K nahm S einen Eilfall an, allerdings ohne das näher zu begründen und zu dokumentieren, und ordnete die Durchsuchung der Wohnung des W an. Bei der unmittelbar danach vorgenommenen Wohnungsdurchsuchung fanden sich 3,5 kg Marihuana, die nach Aussage des W dem A gehörten. A bestreitet jedoch, etwas mit dem Rauschgift zu tun zu haben. Als die Staatsanwaltschaft bei der Anklage gegen A auf den Rauschgiftfund in der Wohnung des W als Beweismittel verweist, macht der Verteidiger des A geltend, das Beweismittel sei in gesetzwidriger Weise aufgefunden worden und dürfe im Verfahren nicht verwertet werden. Ist diese Auffassung zutreffend ?

Grundsätzlich muss das Strafgericht in der Beweisaufnahme alle Beweismittel heranziehen (§ 244 II StPO). Eine Ausnahme besteht im Fall eines Verwertungsverbots. Ein ausdrückliches Verwertungsverbot wie z. B. nach § 136a III 2 StPO greift im vorliegenden Fall nicht ein. Ein Verwertungsverbot könnte sich aber daraus ergeben, dass ein Beweismittel unter Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften erlangt wurde.

I. Dann müsste das als Beweismittel bezeichnete Rauschgift unter Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften erlangt worden sein.

1. Das Rauschgift wurde durch Wohnungsdurchsuchung aufgefunden. Diese erfolgte ohne Zustimmung das Wohnungsinhabers. Wohnungsinhaber war auch A, da dieser sich mehrere Wochen berechtigtermaßen in der Wohnung aufgehalten hatte (BGH Rdnr. 30). A saß in Untersuchungshaft und hatte nicht zugestimmt. Für Wohnungsdurchsuchungen ohne Zustimmung des Wohnungsinhabers gelten formelle und materielle Anforderungen.

2. Die materiellen Anforderungen ergeben sich aus § 102 StPO. Danach kann die Wohnung eines Verdächtigen u. a. dann durchsucht werden, wenn zu vermuten ist, dass sie zum Auffinden von Beweismitteln führen werde. Eine solche Vermutung bestand im vorliegenden Fall und wurde durch den Fund von 3, 5 kg. Marihuana bestätigt.

3. Wegen des scharfen Eingriffs in das grundrechtlich geschützte Recht auf eine ungestörte Wohnung (Art. 13 I GG) bestehen auch strenge formelle Voraussetzungen. In Übereinstimmung mit Art. 13 II GG bestimmt § 105 I 1 StPO, dass Durchsuchungen „nur durch den Richter“ (Richtervorbehalt), bei Gefahr im Verzuge auch durch die Staatsanwaltschaft oder durch Ermittlungspersonen (Polizei) angeordnet werden dürfen.

a) Eine richterliche Durchsuchungsanordnung lag im vorliegenden Fall nicht vor. Sie war weder von der Polizei (K) angeregt noch von der Staatsanwaltschaft (S) gemäß § 162 I 1 StPO beim örtlich zuständigen Amtsgericht beantragt worden.

b) Hier ging die Durchsuchung auf Anordnungen der Staatsanwaltschaft (S) und der Polizei (K) zurück. Sie waren dazu nach § 105 I 1, 2. Satzteil StPO befugt, wenn Gefahr im Verzug war, d. h. wenn ein Eilfall vorlag. Das ist der Fall, wenn die vorherige Einholung der richterlichen Anordnung den Erfolg der Durchsuchung gefährden würde (BGH Rdnr. 17; BVerfGE 103, 154).

aa) Hierfür bedarf es einer Bestimmung des Zeitpunkts, in dem diese Voraussetzung geprüft wird. Denn es besteht die Möglichkeit, dass Polizei und Staatsanwaltschaft so lange warten, bis ein Eilfall vorliegt, was allerdings nicht im Sinne des § 105 I 1 StPO ist. BGH Rdnr. 17: Bei der hier zu beurteilenden Durchsuchungsanordnung hätte Gefahr im Verzuge angenommen werden können, falls die vorherige Einholung der richterlichen Anordnung den Erfolg der Durchsuchung gefährdet hätte (…). Bei der Prüfung dieser Voraussetzung steht es aber nicht im Belieben der Strafverfolgungsbehörden, wann sie eine Antragstellung in Erwägung ziehen. Sie dürfen nicht so lange mit dem Antrag an den Ermittlungsrichter warten, bis etwa die Gefahr eines Beweismittelverlusts tatsächlich eingetreten ist, und damit die von Verfassungs wegen vorgesehene Regelzuständigkeit des Richters unterlaufen (BVerfGE 103, 142 [155]…). Für die Frage, ob die Ermittlungsbehörden eine richterliche Entscheidung rechtzeitig erreichen können, kommt es deshalb auf den Zeitpunkt an, zu dem die Staatsanwaltschaft oder ihre Hilfsbeamten die Durchsuchung für erforderlich hielten (…vgl. BVerfGE 103, 142 [148]).

BGH Rdnr. 18: Solches war hier nach kriminalistischer Erfahrung spätestens zum Zeitpunkt des Entschlusses zur Festnahme des A am Nachmittag des 18. 2. der Fall (…). Die sofortige Suche nach Sachbeweisen am gewöhnlichen Aufenthaltsort des A drängte sich auf. Nur durch einen alsbaldigen Zugriff wäre auszuschließen gewesen, dass mögliche Mittäter in der Wohnung befindliches Rauschgift beseitigen.

bb) Am somit maßgebenden Nachmittag des 18. 2. hätte eine richterliche Anordnung eingeholt werden können. In solchem Fall scheidet die Berufung auf eine später eintretende Gefahr im Verzuge aus. BGH Rdnr. 18: Schon von daher konnte die erst um 20 Uhr erfolgte Durchsuchungsanordnung…nicht mehr auf Gefahr im Verzug gestützt werden. Hinzu kommt, dass den Polizeibeamten durch A´s Beobachtung schon mindestens vier Wochen lang dessen Aufenthalt in W´s Wohnung bekannt war und dass sich die Notwendigkeit einer alsbaldigen Wohnungsdurchsuchung aufdrängte, mithin nicht einer überraschenden Verfahrenssituation entsprang.

cc) BGH Rdnr. 28: Selbst zum Zeitpunkt des Erlasses der Durchsuchungsanordnung [durch Staatsanwalt S] - eine Stunde vor Beginn der Nachtzeit (§ 104 III StPO) - war es nicht von vornherein aussichtslos, zumindest noch eine fernmündliche Genehmigung eines Ermittlungsrichters…zu erreichen (vgl. BVerfG NJW 2007, 1444…).

Somit war das Beweismittel Rauschgift unter Verletzung des § 105 StPO und des Art. 13 II GG erlangt worden.

II. Daraus könnte sich ein Verwertungsverbot ergeben. Eine gesetzliche Regelung über Verwertungsverbote im Strafprozess gibt es nicht. Es gilt weder der Satz, dass es mangels gesetzlicher Regelung keine Verwertungsverbote gibt, noch dass bereits die unzulässige Beschaffung des Beweismittels zu einem Verwertungsverbot führt. Es ist zu bedenken, dass ein Verwertungsverbot zu dem für sich genommen unerwünschten Ergebnis führen kann, dass ein offensichtlich schuldiger Täter gleichwohl freigesprochen werden muss.

BGH Rdnr. 20: Die Frage, unter welchen Voraussetzungen bei Missachtung des sich aus Art. 13 II GG, § 105 I 1 StPO ergebenden Richtervorbehalts ein Verwertungsverbot hinsichtlich der aus der Wohnung zu Tage geförderten Beweismittel anzunehmen ist, hat der Gesetzgeber nicht entschieden (vgl. Gössel, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., Einl. Abschn. L Rdnr. 16). So ist - wie auch bei der Prüfung eines Verwertungsverbots bei Verstößen gegen andere Erhebungsvorschriften - davon auszugehen, dass dem Strafverfahrensrecht ein allgemein geltender Grundsatz, dass jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich zieht, fremd ist (BGHSt 44, 243 [249]). Vielmehr ist diese Frage nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung jeweils nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden (BGHSt 44, 243 m. w. Nachw.). Diese Ausgangsthese konkretisiert der BGH dadurch, dass er der bisherigen Rechtsprechung zwei Fallgruppen entnimmt, bei denen Verwertungsverbote zu bejahen sind.

1. BGH Rdnr. 21: Wichtige verfahrensrechtliche Rechtsgüter können durch rechtswidrige Ermittlungsmaßnahmen so massiv beeinträchtigt werden, dass dadurch das Ermittlungsverfahren als ein nach rechtsstaatlichen Grundsätzen geordnetes Verfahren nachhaltig beschädigt wird.

a) Als Anwendungsfälle verweist der BGH u. a. auf (1) Abhörmaßnahmen unter Verstoß gegen Völkerrecht (BGHSt 36, 396 [398 ff.]); (2) die gezielte Verleitung des Angeklagten zum unbewussten Schaffen von Anknüpfungstatsachen für ein Sachverständigengutachten (BGHSt 34, 39; (3) die Einbeziehung eines Raumgesprächs zwischen Eheleuten bei der Telefonüberwachung (BGHSt 31, 296).

b) Im vorliegenden Fall nimmt der BGH keine ebenso massiv beeinträchtigende Rechtsgutverletzung an. Rdnr. 22: Die Durchsuchungsanordnung war dem Staatsanwalt nicht schlechthin verboten, sondern in Eilfällen gestattet. Gefahr im Verzuge lag hier zwar nicht vor. Die Verletzung des Richtervorbehalts hat aber aus objektiver Sicht geringeres Gewicht als wenn, wie etwa im Falle des § 100 b I StPO [= Überwachung der Telekommunikation], der Polizei die Anordnung von Eingriffen der betreffenden Art schlechthin untersagt ist (Roxin NStZ 1989, 376 [379]).

2. BGH Rdnr. 23: In Fällen schwerwiegender Rechtsverletzungen, die durch das besondere Gewicht der jeweiligen Verletzungshandlung bei grober Verkennung der Rechtslage geprägt sind, sind Beweismittel unverwertbar, weil der Staat…in solchen Fällen aus Eingriffen keinen Nutzen ziehen darf (…).

a) Als Anwendungsfälle verweist der BGH unter Rdnr. 24 auf folgende: (1) So ist eine von dem Ermittlungsrichter oder dem Staatsanwalt angeordnete Telefonüberwachung rechtswidrig - mit der Folge eines Verwertungsverbots -, falls deren Entscheidung nach dem Maßstab (objektiver) Willkür oder grober Fehlbeurteilung nicht mehr vertretbar gewesen ist (BGHSt 41, 30 [34]…). (2) Für Fälle fehlerhafter Wohnungsdurchsuchungen ist dies in der Rechtsprechung weitgehend anerkannt, falls der Richtervorbehalt bewusst umgangen worden ist (vgl. BVerfGE 113, 29 [61]; NJW 2006, 2684 [2686]…). Diese Auffassung wird von Stimmen in der Literatur geteilt (…Krekeler NStZ 1993, 263 [265]). In der Rspr. des BGH wird bei willkürlicher Annahme von Gefahr im Verzug oder bei Vorliegen eines besonders schwerwiegenden Fehlers ein Verwertungsverbot für notwendig gehalten (…), was im Schrifttum ebenfalls vertreten wird (…).

b) An die vorstehende Fallgruppe (2) kann der BGH im vorliegenden Fall anknüpfen. Er legt bei Rdnr. 25 dar, dass richterliche Durchsuchungsanordnungen der Normalfall und nichtrichterliche die Ausnahme sind, und folgert: Damit ist das Gebot, den Richtervorbehalt einzuhalten, für das durch rechtsstaatliche Grundsätze geprägte Ermittlungsverfahren so wesentlich, dass jedenfalls grobe Verstöße nicht sanktionslos gelassen werden dürfen. Folglich ist zu prüfen, ob hier ein derart grober Verstoß vorliegt.

aa) BGH Rdnr. 26: Im vorliegenden Fall liegt schon die Annahme außerordentlich nahe, dass die Polizeibeamten den Richtervorbehalt bewusst ignoriert und die Inanspruchnahme der Eilkompetenz des Staatsanwalts provoziert haben. Das Unterlassen der Polizeibeamten, sich um einen Durchsuchungsbeschluss für die Wohnung des W zu bemühen, ist angesichts des Gangs der Ermittlungen unverständlich.

bb) BGH Rdnr. 27, 28: Auch Staatsanwalt S, dem der Richtervorbehalt selbstverständlich bekannt war, hat objektiv willkürlich eine Wohnungsdurchsuchung ohne richterliche Anordnung gestattet und damit den Richtervorbehalt bewusst ignoriert oder gleichgewichtig gröblich missachtet… Dabei hat er zugleich gegen die ihm obliegende Pflicht verstoßen, für die Rechtmäßigkeit des Ermittlungsverfahrens und damit für die Einhaltung des Richtervorbehalts durch die Polizei Sorge zu tragen.

Somit handelte es sich hier um schwerwiegende Rechtsverletzungen, die durch eine grobe Verkennung der Rechtslage geprägt sind. Daraus folgt grundsätzlich ein Verwertungsverbot.

c) Der Annahme eines Verwertungsverbots könnte allerdings noch entgegengehalten werden, dass bei einem rechtmäßigen Vorgehen der Ermittlungsbehörden das angerufene Gericht die Wohnungsdurchsuchung angeordnet hätte. Dann wäre das Rauschgift gefunden worden, so dass gefolgert werden könnte, dass dessen Verwertung im Ergebnis der Rechtsordnung nicht widerspricht. Dieser Überlegung folgt der BGH jedoch nicht. Rdnr. 29: Dem - für andere Fallgestaltungen zur Einschränkung der Annahme von Beweisverwertungsverboten entwickelten - Aspekt eines möglichen hypothetischen rechtmäßigen Ermittlungsverlaufs (vgl. BGHSt 31, 304 [306]…) kann bei solcher Verkennung des Richtervorbehalts keine Bedeutung zukommen… Die Einhaltung der durch Art. 13 II GG und § 105 I 1 StPO festgelegten Kompetenzregelung könnte bei Anerkennung des hypothetischen rechtmäßigen Ersatzeingriffs in diesen Fällen stets unterlaufen (…) und der Richtervorbehalt sogar letztlich sinnlos werden (Roxin, StrafverfahrensR, S. 183 Rdnr. 21 m. w. Nachw.).

d) Unter Rdnr. 32 erörtert der BGH noch, ob nicht der Freispruch in einem Verfahren wegen eines Rauschgiftdelikts eine nicht hinnehmbare Gefährdung der Volksgesundheit bedeutet, verneint das aber mit der Begründung, das sichergestellte Rauschgift werde eingezogen und wird dem illegalen Rauschgiftmarkt nicht mehr zur Verfügung stehen.

Es bleibt somit bei dem Verwertungsverbot. Dementsprechend hat der BGH es im vorliegenden Fall gebilligt, dass das Landgericht den Angeklagten freigesprochen hat (vgl. Rdnr. 12).

Zusammenfassung